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Im Vorbewußten der Naturgrundlage kann der menschliche Geist,

wie sich zeigen wird, keine lückenlose Durchgestaltung und gegen-

ständliche Durchgliederung erreichen. Die Materie zeigt sich ihm

als der dunkle Abgrund. Wer die Natur nicht mechanistisch denkt

(was noch kein großer Geist der Geschichte tat), wird sich darüber

nicht wundern, daß sie Abgründe in sich schließt, die dem Men-

schen besser verborgen blieben.

Aber auch die Geistesgrundlage des Menschen ist im Dunkel der

Vorbewußtheit. Die Geistesgrundlage ist der n o c h n i c h t

offene und darum ebenfalls noch unerleuchtete Abgrund, der Mor-

genhimmel der Ideenwelt. Dieser kann aber immer mehr erhellt

werden, während der Nachtgrund nicht aufhellbar ist, sondern im-

mer weiter ins Finstere führt.

Das Apeiron

(

άπειρον

),

das Unbestimmte des Platonischen Phi-

lebos, ist also ein zweifaches: ein solches, aus welchem sich das Ich

in freier Selbsttätigkeit emporringt, die Eingebungsgrundlage —

die Fähigkeit, sich zu Eingebungen zu erwecken; und ein solches,

aus welchem es sich nie frei emporringt, sondern das / es immer als

unauflösbares Etwas in sich stehen lassen muß, den Kern der sinnli-

chen Empfindung. Diese Unumgehbarkeit der Auflösung des Fin-

stergrundes im Menschen hat Angelus Silesius gemeint, als er sagte:

Die Hölle muß man schmecken.

Christ, einmal muß man doch im Schlund der Hölle sein;

Gehst du lebendig nicht, so mußt du tot hinein!

Der Sinn ist: Hier im Leben muß der Finstergrund überwunden

werden! Durch ihn muß der Mensch hindurchgehen. So lehrt auch

Mozart. In der „Zauberflöte“ wird die Musik der Königin der

Nacht immer dunkler, aber auch ohnmächtiger, die Musik der Ge-

nien dagegen, welche den menschlichen Geist in sein Inneres führen,

immer heller und strahlt zuletzt in übersinnlichem Glanze. So auch

Goethe:

Wer immer strebend sich bemüht,

Den können wir erlösen.

Und hat an ihm die Liebe gar

Von oben teilgenommen,

Begegnet ihm die selige Schar

Mit herzlichem Willkommen.

Der Ideengrund kann zum Lichtgrund werden, wenn der Mensch

es vermag, das Licht der Gestaltung, das Licht des Verstandes und

die Wärme der Gezweiung zu erwecken, indem er immer weiter

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