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B.
W o r a u f d e u t e n d i e v e r s c h i e d e n e n A r t e n d e s
V o r b e w u ß t e n h i n ?
Weil alle Arten des Vorbewußten bei den verschiedenen Men-
schen in den Grundzügen gleich sind, deuten sie auf einen überindi-
viduellen Hintergrund des Individuums hin. Denn woher sollte
sonst das Vorbewußte kommen? Das Vorbewußte kann darum
insbesondere keine bloße „Hemmung des Bewußtseins“ darstellen,
wie die Empiristen behaupten, die angeblich aus den leiblichen
Verrichtungen erfolgt (woraus man besonders den Schlaf erklären
wollte, der aber in Wahrheit keine absolute Abwesenheit des Be-
wußtseins bedeutet
1
). Denn Gewissen, Begeisterung, Eingebung,
Sammlung, Instinkt sind keine Hemmungen, sondern h e r v o r -
b r i n g e n d e , f r u c h t b a r e Z u s t ä n d e des Geistes, die auf
seine Erhöhung oder Erweiterung abzielen. Rein analytisch gese-
hen kann das Vorbewußte nur als Grundlage oder Hintergrund des
Geistes bestimmt werden.
Darin zeigt sich aber die Schwierigkeit aller bisherigen Seelen-
lehre, welche „Individual“-Psychologie sein will (wobei ich aller-
dings an den Begriff dieses Wortes denke, nicht an die unsinnige
Verzerrung durch eine gewisse Schule von heute). W e n n d a s
I n d i v i d u u m f ü r s i c h b e t r a c h t e t w i r d , i s t d e r
B e g r i f f d e s V o r b e w u ß t e n u n b e g r ü n d b a r .
Anders vom Standpunkte der Ganzheit aus. Hier deuten alle
Erscheinungen des Vorbewußten auf jene Ebene hin, in welcher
das Ausgegliederte rückverbunden ist oder, anders gesagt, welche
im Begriffe des Ausgliedernden der Ganzheit beschlossen liegt. Das,
was ausgliedert, aber nicht selbst ausgegliedert wird, bildet die
Hintergründe des höheren, geistigen wie des niederen, sinnlichen
Bewußtseins.
/
Auf die Frage nach dem Vorbewußten gibt uns also der Begriff
der Ganzheit mit seiner Kategorie der Ausgliederungsordnung be-
stimmte Hinweise. Im V o r b e w u ß t e n f i n d e t s i c h d e r
M e n s c h i n d i e h ö h e r e n G a n z h e i t e n , d i e i h n
b e f a s s e n , e i n g e g l i e d e r t .
1
Vgl. oben S. 239.