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geschichtlich an das anknüpfen muß, was umzugliedern sei, wird es
aber an dieses gebunden. Wir nennen das geschichtliche oder geneti-
sche Gebundenheit.
Hiermit ist es klar: daß F r e i h e i t u n d G e b u n d e n h e i t
z u s a m m e n g e h ö r e n . Sie entsprechen einander. Reine Frei-
heit wäre — in der Ebene des Geschaffenen — Willkür, zuletzt
Chaos; reine Gebundenheit wäre unlebendig, tot, mechanisch, kann
daher dem ganzheitlich Ausgliedernden nicht zukommen.
Aus dieser Gegenseitigkeit von Freiheit und Gebundenheit folgt
auch, daß die menschliche Freiheit keineswegs nur eine „formale“,
nur eine „Wahlfreiheit“ des Willens sei. (Die Wahl ist ein Sonderfall
ohne Bedeutung, überhaupt nur ein Grenzfall.) Die F r e i h e i t
b e d e u t e t d i e M ö g l i c h k e i t d e s I c h , d a s A u s -
g l i e d e r n s e l b s t z u b e s t i m m e n , nach dem Wege (der
Form) sowohl wie dem Inhalte, jedoch allerdings im Rahmen der
oben festgestellten Bindungen. Die Freiheit ist daher ein Ur-
sprünglichbildendes, Aufbauendes, Plastisches, sie ist kein Vermögen
bloßen „Wählens“.
B.
Der S t u f e n b a u v o n F r e i h e i t e n
i m m e n s c h l i c h e n I c h
( D i e V o r r a n g v e r h ä l t n i s s e )
Gibt es keine allgemeine, abstrakte „Freiheit“ im menschlichen
Ich, sondern ist diese Freiheit systematisch wie geschicht- / lich be-
grenzt
1
, dann ist diese Begrenzung jeweils nach den Besonderun-
gen der Ausgliederungsordnung bestimmt. Da die Ausgliederungs-
ordnung wieder durch Teilinhalte und Stufen bestimmt ist, so sind
zu unterscheiden: die Freiheit des Setzens im Sinne der auf allen
Stufen wiederkehrenden Teilinhalte; die Freiheit der einzelnen
Stufen; insbesondere auch vor allem die Frage, ob und inwieweit
innerhalb des leiblichen Lebens der Geist durch unmittelbare Ein-
flußnahme selbst Freiheit betätigen könne und wieweit er an die
1
Siehe oben S. 348.