Table of Contents Table of Contents
Previous Page  6504 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 6504 / 9133 Next Page
Page Background

350

[395/396]

leiblichen und umweltlichen Vorbedingungen für sein Geistesleben

gebunden sei, soweit sie als schlechthin gegeben und daher als Bin-

dungen, Unfreiheiten zu betrachten seien.

Besteht eine Freiheit innerhalb des leiblichen Lebens? Diese Frage

haben wir dahin beantwortet, daß mindestens eine sozusagen ne-

gative Freiheit, jedenfalls keine ursächlich-mechanische Abhängig-

keit bestehe. Wir haben sie ferner in bezug auf die Rasse dahin be-

antwortet, daß diese zwar dem Einzelnen jeweils vorgegeben, aber

die Möglichkeit einer geistig bedingten, schrittweisen Umarbeitung

nicht völlig ausgeschlossen sei. — Bei nun einmal gegebenen rassi-

schen Vorbedingungen ist der Rahmen des leiblichen Lebens zwar

gegeben, aber auch hier entsteht die Frage, ob innerhalb dieses Rah-

mens Freiheit stattfinde. Daß der Mensch in gewissen Grenzfällen

diese Vorbedingungen beherrschen könne, beweisen die Möglich-

keiten äußerster freiwilliger Enthaltsamkeit, freiwilligen Hunger-

todes, freiwilligen Selbstmordes. Diese Möglichkeiten sind aller-

dings untrügliche Beweise dafür, daß auch auf leiblichem Gebiete

echte Freiheit nicht völlig fehle. Aber ihr praktischer Wert ist in-

sofern sehr eng begrenzt, als gerade eine Freiheitsbetätigung so

weitgehender Art fast auf die Vernichtung der leiblichen Vorbe-

dingungen des Lebens, somit auf die Vernichtung des leiblichen

Lebens überhaupt eingeschränkt ist. Freiwilliger Hungertod ist

nicht nur eine Freiheitstat des / Geistes, sondern zugleich die

Selbstvernichtung seiner irdischen Daseinsbedingungen. Ähnliches

gilt daher von der geistigen Einflußnahme auf Gemütsstimmungen

und Geisteszustände, sofern sie auf leibliche und umweltliche

Gründe zurückgehen. Kant hat in seiner von Hufeland herausge-

gebenen denkwürdigen kleinen Schrift „Von der Macht des Gemüts,

durch den bloßen Vorsatz seiner krankhaften Gefühle Meister zu

sein“ diese Möglichkeiten gezeigt und in seinem Leben selbst be-

wiesen, daß der Geist seinem Leibe gegenüber nicht gänzlich ohne

Waffen sei. Grundsätzlich steht es also nicht so, wie der Sensualismus

will, daß die höheren geistigen Vorgänge Ableitungen, Verfeinerun-

gen, „Sublimierungen“ leiblicher Verrichtungen und Notwendig-

keiten wären; aber es steht auch keineswegs so, daß der Geist je

leibfrei zu denken sei, daß er seinen Körper „selbst baue“. Er kann

nur (in beschränktem Maße) umbauen und sich über die Vor-

bedingungen teilweise erheben.