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356

[402/403]

machet sie [die Seele] ihm selber gleich in der Gnade

1

.“ . . also

ist die Seele ohne Unterschied aus dem göttlichen Lichte geschaf-

fen

2

.“ „ . . . alles, das an der Seele lebt, das ist nichts andres als

Gott

3

.“ „ . . . darum wird sie überformet mit Gott und in Gott

4

.“

Und Platon nennt die Seele „die Verwandte des Göttlichen und

Unsterblichen und immer Seienden

5

“.

Der Zuversicht, welche das reine Wesensbild des Menschen uns

einflößt, steht das Grauen entgegen, welches die Betrachtung seiner

Unvollkommenheiten und Verkehrungen hervorruft.

Diese Unvollkommenheiten sind so tiefgründige, daß sie als

Anzeichen der Verfinsterung der menschlichen Natur sich darstellen.

Wie sehr tritt uns aus der Betrachtung der Unvollkommenheiten

der Menschennatur ein Bild der Verwüstung entgegen. Jede Geistes-

und Seelenlehre, welche grundsätzlich eine Ungebrochenheit des

Geistes annimmt, welche den Geist als heil und ganz und seiner

selbst mächtig betrachtet, irrt. Sie irrt so sehr, daß sie die wesent-

lichsten Erscheinungen nicht verstehen kann: die Seelenkrankheiten;

das unaufhörliche Unterbrochenwerden des Actus purus durch

Vergessen, durch Zerstreutheit; / daher den Irrtum; das Häßliche

und Mißgestaltete im seelischen Geschehen; die Hemmung durch

Sinnlichkeit, Sinnestäuschung, Schlaf und schließlich den Tod.

Die Verleiblichung des Menschen in unbotmäßiger Materie be-

deutet von sich aus eine Verfinsterung des Geistes, welche von den

seltenen und unendlich schwer zu erlangenden Steigerungszuständen

der Seele nicht wettgemacht wird und entsprechend der hohen Stel-

lung des Menschen in der Schöpfung zugleich auf die Gebrochenheit

der gesamten Natur hinweist. In der Natur ist nichts Lauteres.

Friedrich Schlegel hat diesen schon in Kantens Lehre vom „Radikal-

Bösen“ liegenden, von Schelling, Baader, Novalis und der gesamten

Romantik so eindringlich ausgesprochenen Gedanken dichterische

Worte verliehen:

1

Meister Eckhart, ebenda, S. 201, Zeile 29.

2

Meister Eckhart, ebenda, S. 245, Zeile 40 f.

3

Meister Eckhart, ebenda, S. 249, Zeile 27 f.

4

Meister Eckhart, ebenda, S. 15, Zeile 35 f.

5

Platon: Staat, 611e.