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den drei Seelenkräften entsprechen die drei Tugenden: Weisheit,
Tapferkeit, Mäßigkeit, zu denen als Harmonie aller Tugenden die
Gerechtigkeit kommt. — Der Geist wohnt im Kopfe, das Mutartige
in der Brust, die Begierde im Unterleib
1
.
Platon lehrt die U n s t e r b l i c h k e i t der Seele. Jedoch
scheint nach dem „Phaidros“ die Seele schon in ihrem Vorleben
nicht nur das Geistige, womit sie die Ideen schaut (der Wagenlen-
ker — Geist — schaut die Ideen), zu besitzen, sondern das Mut-
artige und Begierdeartige, die beiden Rosse, mindestens in ihr vor-
gebildet zu sein
2
. Im „Timaios“ hingegen scheint nur der geistige
Teil der Seele unsterblich, da Mut und Begierde ihr von den unteren
Göttern angewoben werden. Im „Phaidros“ und „Phaidon“ wird
andrerseits die Unsterblichkeit wesentlich auf die Selbstbewegung
der Seele gegründet. — Die Seelenwanderung, die aus dem Vorsein
der Seele folgt, wird überall festgehalten.
Das Verhältnis von Idee und Geist tritt uns in Platons Schriften
nicht völlig klar entgegen. Indessen ist zu schließen, daß der ver-
nünftige Teil der Seele
(νούς)
aus Gott stammt und also zur Ideen-
welt gehört. Der Geist ist Idee und besteht vor dem Leben in der
Ideenwelt, wie aus dem „Phaidros“ und anderem hervorgeht.
b.
E r l ä u t e r u n g
Diese urtümlichen, tiefblickenden Bemerkungen Platons über die
Seele scheinen uns wohl geeignet, die Unhaltbarkeit einer „Psycho-
logie“ im heutigen Sinne, / nämlich als einer für sich bestehenden
Sonderwissenschaft und „Erfahrungswissenschaft“ zu beweisen.
Für Platon ist die Seele nicht nur das Innere des Bewußtseins,
sondern zugleich eine wirkende Macht. Die Seele wirkt im Leibe.
Und eine Seele muß es auch sein, welche die Bewegung und Gestalt
in der Welt wirkt (Weltseele). Ordnung und Maß sowie Leben in
der Körperwelt sind daher nach Platon zugleich ein Erkenntnis-
grund für das Dasein und die Wirksamkeit der Seele. Es gibt eine
Weltseele und das Weltganze ist voller Leben (die Welt ist ein „Lebe-
wesen“
ξωόν).
Wie das Leben aller einzelnen Wesen aus dem Leben
der Welt stammt, so auch die Einzelseele des Menschen aus der
1
Platon: Timaios, 44d ff. und öfter.
2
Platon: Phaidros, 246.