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Gesamtseele. Aus eben diesem Gesichtspunkte scheint uns auch

der „Staat“ verständlich und der Umstand, daß seine drei Stände

den drei Seelenkräften entsprechen.

Indem die Seele ferner sowohl Dasselbigkeit wie Anderheit,

Einheit und Vielheit, in sich vereinigt, berührt sie zugleich das

Sinnliche wie das Göttliche. Indem sie selbstbewegend ist, erweist

sie sich als unsterblich, da ihre innere Bewegung (Spontaneität,

Selbstsetzung) kein Ende finden kann, eben weil sie aus ihr selbst

stammt.

Wir ersehen daraus die Einheit der Philosophie: Die Seelenlehre

Platons ist ebensowohl ein Teil der Naturphilosophie wie ein Teil

der Gesellschaftslehre und Sittenlehre wie auch ein Teil der Er-

kenntnistheorie. Ein Teil der Naturphilosophie, weil die Natur der

Weltseele zur Erklärung von Ordnung, Maß und Leben bedarf; der

Gesellschaftslehre, weil Entsprechungen zwischen der Gliederung

des Staates, der Gliederung der Seele und der Tugenden bestehen;

der Erkenntnislehre, weil sich die Ideenwelt dem Geiste, dem den-

kenden Teil der Seele, erschließt, die Sinnlichkeit aber den Begier-

den.

c.

B e u r t e i l u n g

Die Platonische Seelenlehre erscheint der heutigen Wissenschaft

mehr als eine mythische denn ernst / zu nehmende Lehre. Je

tiefer man aber in den Sinn eindringt, umso mehr zeigt sich: daß

Platon in allen wesentlichen Aufstellungen recht hat. Jede höhere

Naturbetrachtung muß auf die Belebtheit der Natur kommen. Da-

her muß jedes Leben mit dem Gesamtleben, jede Beseelung mit

der Gesamtbeseelung der Welt in Verbindung stehen. Auch die

menschliche Seele kann aber dann nicht atomistisch für sich, son-

dern nur in einer Gesamtganzheit seelischer Wesenheiten gedacht

werden. Die menschliche Seele ist durch die Sinnesempfindung mit

der sinnlichen Natur in Verbindung, sie denkt aber auch, sie bildet

feste Begriffe und berührt durch diese (wie durch ihre mystischen

Kräfte, auf die Platon unter anderem im Höhlengleichnisse hin-

deutet) das dem sinnlichen Wandel Entrückte, also Übersinnliche.

Wie sollte eine Seelenlehre je an diesen Punkten vorübergehen

können? — Das vermag nur der rohe Materialismus und der platte

Erfahrungstaumel, wie er im wissenschaftlichen Betriebe der soge-