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Anhang

Lehrgeschichtlicher Überblick

1. Vorsokratiker. Sokrates

Welchen tiefen Blick bereits die Vorsokratiker in das Wesen des

inneren Menschen taten, lehrt uns ein Bruchstück von Heraklit

(

475 v. Chr.): „Geh hin: der Seele Grenzen findest du nicht, auch

wenn du alle Wege wanderst, so tief reicht ihr vernünftiges We-

sen.“ Dieses Wort wäre wohl auch als Führer bei Beurteilung ande-

rer vorsokratischer Lehrgebäude der Zeit zu nehmen. Aus Mangel

an näheren Nachrichten über ihre Geisteslehre übergehen wir sie

alle, auch die großen Eleaten, und wenden uns der ersten ausgebil-

deten Lehre, der des Sokrates (

399 v. Chr.) zu. Die Geisteslehre

des Sokrates, die wahrscheinlich auf mystischem Grund steht, nimmt

eine logische und sittliche Richtung. Der Mensch ist ihm ein ver-

nünftiges Wesen. Vernünftige Einsicht führt daher zu richtigem

Handeln, zur Tugend. Denn das Handeln ist abhängig von der

Erkenntnis. Von da aus wird zu dem Satze weitergegangen, das

Wissen sei schon die Tugend, wer das Gute erkannt habe, tue es

auch. Triebe, Begehren, Wille, Handlungsvermögen scheinen für

Sokrates dem Wissen durchaus untergeordnet zu sein. Das würden

wir heute „Intellektualismus“ nennen. Um aber diese Lehre ganz

zu würdigen, ist zu bedenken, daß sie tiefer verankert ist: Die

menschliche Vernunft ist zugleich die Weltvernunft. Die Vernunft

des Menschen ist in allen Einzelnen. Sie ist die das Weltall (daher

auch alles / Handeln) nach Zwecken ordnende Macht

1

. Daher

alle Tugend ein Wissen und lehrbar sei.

1

Vgl. dazu Eduard Zeller: Die Philosophie der Griechen in ihrer geschicht-

lichen Entwicklung dargestellt, Teil 2, Abt. 1 (Sokrates und die Vorsokratiker,

Platon und die alte Akademie), 5. Aufl., Leipzig 1923, S. 172.