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scheinung an Subjekten ist ein Irrtum, welcher den neueren Zeiten
Vorbehalten blieb.
4. Augustinus
Die platonische und aristotelische Scholastik
A u g u s t i n u s (
430 n. Chr.) ist Platoniker, geht aber ge-
rade in der Auffassung vom Wesen der Seele zum Teil Wege, / wel-
che später die Entwicklung zum Subjektivismus in der Seelenlehre
erleichterten. Das Neue seiner Seelenlehre ist, daß er Gedächtnis,
Vernunft, Wille (memoria, intellectus, voluntas) unterscheidet. Das
Gedächtnis erhält bei ihm eine tiefere Bedeutung, noch mehr der
Wille. Wille (Liebe) liegt nach ihm allen menschlichen Tätigkeiten
zugrunde, auch den Gefühlen, z. B. Furcht und Hoffnung, aber auch
dem Erkennen
1
. Damit ist der menschliche Geist nicht mehr auf
das Erkennen, sondern auf den Willen gestellt und also sein Begriff
gegenüber Sokrates und Platon geändert. Nicht die Erkenntnis,
sondern der Wille geht der Tugend vorher. Wir müssen das Gute
zuerst wollen und lieben, um es erkennen zu können. Der Wille ist
für Augustinus seinem Begriffe nach f r e i . Allerdings geht die
Freiheit des Willens im Leben der Seele wieder verloren, wie aus
der bekannten Prädestinationslehre des Augustinus folgt.
Das ist ein Widerspruch. Aber bei Augustinus sind auch sonst
Widersprüche. Der Unterschied des Geistes vom Körper wird darin
gesehen, daß der Körper nur er selbst ist, z. B. nur seine Figur und
Farbe, nicht die eines anderen hat; während der Geist sich selber
und ein anderes denken kann. Hiermit ist also die Reflexion oder
Selbstvergegenständlichung (Selbstanschauung) als das Wesentliche
und Erste hervorgehoben, während er sonst dem Willen den Vor-
rang vor dem Denken gibt. — Augustinus löst die Verbindung der
Seelenlehre mit der Naturphilosophie (nicht mit der Gottes- und
Sittenlehre), wodurch die innere Erfahrung stärker hervortritt als
bei den Alten. Es steht aber keineswegs so, daß jetzt erst die innere
Welt des Menschen und die Frage der inneren Freiheit entdeckt
worden wären. In Wahrheit brauchte nichts neu entdeckt zu werden.
1
Vgl. Augustinus: De Trinitate, XIV, XV und öfter (die Seele als Eben-
bild der Dreifaltigkeit).