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In dem Augenblicke, wo die Philosophie wieder / zur Natur-
philosophie zurückkehrt und in dieser einen wesentlichen Bestand-
teil der Philosophie erkennt — was in der Neuzeit durch Schelling
erfolgte —, tritt auch die Frage der Weltstellung des Geistes und
seiner Macht in der Natur wieder wie früher hervor.
Ohne Augustinus ist die p l a t o n i s c h e S c h o l a s t i k nicht
denkbar. Ihre Seelenlehre findet in Hugo von St. Victor (
1141)
und Bonaventura (
1274) die größten Vertreter. Einerseits erfolgt
eine engere Anknüpfung an die platonische Ideenlehre, andrerseits
schlägt sie eine mehr sittliche, die Entwicklung der Seele beachtende
Richtung ein, vor allem aber ist sie von mystischer Art.
Die a r i s t o t e l i s c h e S c h o l a s t i k , vornehmlich durch
Thomas von Aquino (
1274) ausgebildet — denn Albertus Magnus
(
1280) ist zugleich Mystiker —, kehrt zum Vorrange des Den-
kens zurück und bildet die Lehrbegriffe der aristotelischen Seelen-
lehre weiter aus. Der kühne Johannes Duns Scotus (
1308) lehrt
wieder mit Entschiedenheit den Vorrang des Willens und die Frei-
heit des Willens.
Die größte mystische Seelenlehre entwickelt Meister Eckehart
(
1327), welcher den Seelengrund lehrt und dadurch den Streit
um den Vorrang des Denkens oder Willens überwindet.
5.
Die Seelenlehre der empiristischen Philosophie:
Der Sensualismus und die Assoziationslehre
Wir übergehen die vorbereitenden Richtungen, wie sie durch
den Rationalismus von Cartesius (
1650) und seinen Nachfolgern
begründet wurden, und wenden uns dem Empirismus zu.
Der Standpunkt der empiristischen Philosophie, welcher in der
Neuzeit zum Durchbruch kommt und in den Lehren von Locke
(
1704), Hume (
1776), der Aufklärer, Positivisten / und Na-
turalisten verschiedener Färbung seine Ausbildung erlangt, führt
dazu, die seelischen Erscheinungen nach Art von Naturvorgängen,
das heißt also als mechanisch-ursächliches und auch atomistisches
Geschehen, zu betrachten. Damit wird die Seelenlehre nach Art der
anderen Naturwissenschaften als eine selbständige Erfahrungswis-
senschaft von der Philosophie losgelöst.