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müssen. So aber erschienen ihm solche Mischsysteme als „hölzernes
Eisen“. Wenn wir ihm in dieser strengen Kritik nur zum Teil fol-
gen können, so heben wir damit sein Werk nur umso höher empor!
Spann eilte seiner und unserer Zeit so mächtig voraus, daß auch
die meisten jener Philosophen, die sich mit einer allmählichen Los-
lösung vom Empirismus für die Weiterentwicklung der Psycholo-
gie zweifellos Verdienste erworben haben, weit davon entfernt
sind, in Spann den Vollender aller Bestrebungen zu sehen, von de-
nen sie selbst geleitet worden sind. Spann geht denen zu weit, denen
echte Metaphysik jenseits ihres philosophischen Blickfeldes liegt
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Gerade unter dieser Voraussetzung aber sind ihre Erkenntnisse als
umso anerkennenswerter zu beachten.
Als „Phänomene“ sah der Empirismus getreu seiner atomistisch-
naturwissenschaftlichen Herkunft vor allem E i n z e l -Erscheinun-
gen, die erst nachträglich — durch „Assoziationen“ — zu komple-
xen Gebilden verknüpft werden. Da machte Christian von Ehren-
fels (1859—1932) dieser damals herrschenden „Elementen-Psycholo-
gie“ gegenüber die aufsehenerregende Entdeckung der von ihm so
genannten „G e s t a l t q u a l i t ä t e n“. Die Gestalt ist mehr als
die Summe ihrer Teile, denn sie können ausgetauscht werden, ohne
daß die Gestalt sich ändert. Dies ist zwar für jeden Unbefangenen
(z. B. Musiktreibenden) selbstverständlich, nicht aber für die empi-
ristische Psychologie, denn sie stand ja durchaus im Banne des
Atomismus. Ehrenfels selbst konnte sich davon nicht grundsätzlich
befreien, denn er stellte seine Entdeckung der Elementen-Psycholo-
gie an die Seite, nicht aber entgegen. Die Erkenntnis Spanns, daß
j e d e Einzelempfindung und Einzelvorstellung nur im Rahmen
eines gegebenen Empfindungs- und Vorstellungsganzen, also nur
gliedhaft auftreten kann, setzt ein Erlebnis voraus, zu welchem sich
die ersten Wegebereiter auf der von Ehrenfels freigemachten Bahn
erst allmählich durchrangen.
Aus einer anderen Richtung stößt Alexius Meinong (1853—1920)
vor. Er befreit die in der empiristischen Psychologie vor allem am
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Sie gleichen darin wahrlich jenen Gefangenen in Platons Höhlengleichnis,
die nur auf die ihnen erscheinenden Schattenbilder blicken, aber nichts sehen und
nichts sehen wollen von den Gegenständen selbst, schon gar nichts von denen,
welche diese Gegenstände hinter einer für sie unersteigbaren Mauer tragen, und
denjenigen mit größtem Mißtrauen begegnen, die ihnen von den realen Dingen
und ihren Trägern etwas zu berichten wissen (Platon, Staat, p. 514—517).