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übernommenen Begriff der Gestaltqualitäten aufbaute und daraus
eine Analyse der Gefühle ableitete. Eine beachtenswerte Leistung
K r u e g e r s liegt schon darin, daß er sich von seinem Leipziger
Lehrer Wilhelm Wundt, dessen Philosophie damals den deutschen
Sprachraum beherrschte, abzusetzen vermochte. Gegen dessen land-
läufigen Empirismus
1
betont er die G a n z h e i t l i c h k e i t d e s
G e f ü h l s e r l e b n i s s e s . Dem Empirismus hält er entgegen:
Die Gefühle setzen sich nicht aus einzelnen Elementen zusammen.
Sie beschränken sich nicht auf Lust- und Unlusterlebnisse, sondern
schließen Heterogenstes in sich ein. Sie sind infolge ihrer Komplex-
haftigkeit nicht meßbar.
Nicht zu Unrecht geht Krueger in seiner Gefühlstheorie über den
von Cornelius übernommenen Ehrenfels’schen Begriff der „Gestalt-
qualitäten“ hinaus und führt den in einer Ganzheitslehre fast para-
dox anmutenden Begriff der „Komplexqualitäten“
2
ein. Krueger
geht aus von der „Ganzheit des Erlebens“ und sieht den Unter-
schied der Gefühle gegenüber allen Nicht-Gefühlen in den spe-
zifischen Komplexqualitäten des jeweiligen Gesamtbewußtseins. Er
arbeitet folgende Merkmale der Gefühle besonders heraus: a) Uni-
versalität, Allverbreitung und Unausweichlichkeit; b) Qualitäten-
reichtum und Wandelbarkeit; c) Dominanz des Ganzen und dessen
Verblassung durch Zergliederung; d) das Diffuse, Ungegliederte
oder kaum Gegliederte (wir möchten sagen: das „Unausgeglie-
derte“) der Gefühle.
Damit hat Krueger die Untersuchung der Gefühle, die sich da-
durch auszeichnen, „daß sie beachtet werden müssen“, in der Psycho-
logie aber weitgehend unbeachtet geblieben sind, aus ihrem Dorn-
röschenschlaf lebensvoll erweckt
3
. Er hat damit der Seelenlehre ein
1
Wundt selbst hätte bereits einen ersten Schritt zur Überwindung des
Empirismus mit dem Gedanken seiner „schöpferischen Synthese“ getan, wenn er
diesen systematisch entwickelt hätte.
2
Inwiefern der Kruegersche Begriff der „Komplexqualität“ echter Ganz-
heitlichkeit zu widersprechen scheint, andererseits aber eine Komplexhaftigkeit
den Tatbestand der Gefühle gerecht wird, siehe unten S. 413 f.
3
Die empiristische Grundeinteilung der menschlichen Seele in Vorstellung,
Wille, Gefühl hatte wohl ausführliche Vorstellungs- und Willenstheorien zur
Folge; das Gefühl blieb aber auch hier das Stiefkind.
Wie sehr auch Spann das Gefühl als Begriff der Geisteslehre abgelehnt hat,
siehe oben, insbesondere S. 216 ff.