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Gebiet erschlossen, welches urbar zu machen gerade einer Ganzheits-
lehre Vorbehalten bleiben mußte.
Krueger lebt in der Welt der Gefühle; als intuitiver, wenig syste-
matischer Gefühlsmensch entwickelte er auch die übrige Psychologie.
Er fand jedoch in seinem Schüler Albert Wellek (geb. 1904) den
systemgerechten Bewahrer und Ausgestalter seiner Lehre. Wir dür-
fen daher diese als eine Einheit der Erkenntnisse beider betrachten.
G a n z h e i t s e r s c h e i n u n g e n
(Erlebnisganzheiten)
sind
es, die der Psychologie entgegentreten. Aber sie können als Erleb-
nisse nur ein Bedingtes sein. Die Bedingung ist die Struktur der er-
lebenden Seele. Strukturganzheit erscheint nicht, sondern wird lo-
gisch postuliert aus der Erscheinung der Erlebnisganzheit. Psychische
Struktur ist transphänomenal, steht hinter dem Erscheinenden als
deren tragender Grund. Sie ist ein Seiendes, hat also ontologische
Realität: „ d a s s e e l i s c h e S e i n
1
“.
Es ist hier nicht der Raum, weitere Grundzüge dieser Lehre zu
verfolgen
2
. Festzuhalten ist vor allem, daß aus einer phänomena-
listischen Ausgangspostion mit Hilfe des auf W i l h e l m D i l -
t h e y (1833—1911) zurückgehenden „S t r u k t u r“-Gedankens
der menschlichen Seele wiedergegeben wurde, was ihr der seelen-
und blutleere Empirismus schon seit D a v i d H u m e (1711 bis
1776) immer mehr so verhängnisvoll geraubt hat: die Substanz, das
reale Sein und das Leben.
Doch noch viel weiter hinauf reichen die ontologischen Aus-
blicke der Ganzheitspsychologie. Der sie uns eröffnet, ist Hans Vol-
kelt (geboren 1886). Er überhöht die „Grundfragen der Psycho-
logie“
3
mit einer geradezu weit ins Metaphysische weisenden
Vision: „Die schwere, wahrscheinlich unlösbare Frage, ob in den
hier genannten und verwandten Fällen dem Wir-Ich ein wirkliches
überindividuelles seelisch-geistiges Sozial-Ich, also ein metaphy-
sisch-metaphysisches Ich zugrunde liege, muß hier offen bleiben.
Es muß hier genügen, daß im naiven Erleben des Menschen ohne
1
Albert Wellek: Das Problem des seelischen Seins, Meisenheim-Wien 1953,
S. 21 ff.
2
Dies wurde unternommen in der erwähnten Arbeit „Die Geisteslehre Oth-
mar Spanns“, S. 100 ff., wo auch Ansätze zu einer Entfaltung im Sinne der Spann-
schen Kategorienlehre aufgezeigt worden sind.
3
Hans Volkelt: Grundfragen der Psychologie, München 1963, S. 221.