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u r s p r ü n g l i c h e n
1
, welches in die uns bekannten Bewußt-
seinsschichten auseinandergelegt erscheint, wodurch die Geisteslehre
diesen Namen im eigentlich philosophischen Sinne freilich erst
verdient! Während die B e g i e r d e
(έπιθυμητικόν)
die Sinnlich-
keit ist, bedarf das
θυμοειδές
einer näheren Betrachtung,
(θυμός
ist Leben, Gemüt, Herz, aber auch Geist.) Es umfaßt alles
Geistursprüngliche in seiner Unmittelbarkeit. Das Muthafte, das
Gemüt (der Geist an sich) hat etwas Unmittelbares. Wenn es sich
— wie es muthaften und gemütbestimmten Menschen nicht selten
eigen ist — direkt in die Tat auswirkt, überspringt es, im Gegen-
satz zu dem die Eingebung gegenständlich erfassenden und sie aus-
einanderlegenden Denken und Gestalten, weitgehend (niemals
ganz!) die einzelnen Bewußtseinsstufen des Geistursprünglichen und
führt unvermittelt zum Handeln. Es entspringt also der Eingebung,
wirkt aber dennoch direkt im Wollen und Handeln. Es ist verwandt
mit dem, was in späteren Lehren (Aristoteles, Augustinus, Meister
Eckehart u. a.) als W i l l e bezeichnet wird, dem dort ebenfalls
Unmittelbarkeit bzw. ein Verbindendes von der obersten zur un-
tersten Bewußtseinsschichte des Geistes zukommt. Während der
Wille aber mehr dem „Wollen und Handeln“ zugeordnet ist, liegt
beim Mut- und Gemüthaften der Schwerpunkt, auf der innerlichen,
geistigen Seite.
Die viel stärker entfaltete Psychologie des Aristoteles
2
hat die
Vermögen der Seele durch den Begriff der S c h a u u n g s k r a f t
(
φαντασία
3
) erweitert. Doch weder diese geniale Einsicht noch
die Unterscheidung von
νούς ποιητικός
und
νούς παθητικός
führ-
ten zu einer echten Eingebungslehre hin, zu welcher auch die
S c h o l a s t i k , die sich um eine Vertiefung der Begriffe Intellectus
agens und Intellectus passivus bemühte, leider nicht zu gelangen
vermochte
4
.
1
Siehe oben S. 160.
2
Siehe oben S. 363 ff.
3
Statt der irreführenden
Übersetzung durch „Einbildungskraft“ betont
Spann, daß „Phantasmata“ im Griechischen „Erscheinungen“ bedeuten (Der
Schöpfungsgang des Geistes, S. 238).
4
Die weitere Ausgestaltung durch die von Aristoteles (wie von Platon im
Timaios) hinzugefügten Vermögen gehen nur in die Richtung der Sinnlichkeit
und können daher nicht als eine innere Bereicherung der Seelenlehre beurteilt
werden.