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410

Da hinsichtlich W i l l e u n d G e f ü h l das oben Gesagte

1

und

unten noch Auszuführende

2

gilt, verschiebt sich naturgemäß das

Vorrangverhältnis. Praktische Vernunft ist vor theoretischer Ver-

nunft, heißt nicht: Handeln ist vor Erkennen (Praxis vor Theorie),

sondern (durchaus im Sinne der Ganzheitslehre): Das Unmittelbare

ist vor dem Vermittelten

3

.

Daß Kant diesen Vorrang mit wahrhaft großem philosophischem

Instinkt festgehalten hat, beweist, daß seine Erlebnisgrundlage weit

über der Ebene eines die Philosophie ausdorrenden Rationalismus

steht. So nur konnte Fichte, diese Lehre bewußt fortführend, seine

Wissenschaftslehre mit einer geistigen „Tathandlung“ beginnen, mit

der „Selbstsetzung“.

Der Empirismus hingegen veräußerlichte die von Kant ge-

brauchte Einteilung dadurch sehr bedauerlich, daß er an die Stelle

des erkennenden Denkens die V o r s t e l l u n g setzte und damit

vor allem die sinnliche Vorstellung meinte. Dementsprechend muß-

ten auch die Begriffe Gefühl und Wille eine Veräußerlichung er-

fahren. Die alte Einteilung der idealistischen Philosophie wurde

damit ihres tiefen inneren Gehaltes beraubt, aber nicht grundsätz-

lich verneint, sondern doch wohl eben äußerlich gerade noch beibe-

halten. Wenn wir zurückschauen auf die Einteilung Kants, welche

von der heute herrschenden empiristischen Psychologie wenigstens

insofern wieder aufgenommen wird, als das D e n k e n ein eige-

nes Vermögen neben der Vorstellung darstellt, so können wir hin-

sichtlich der Einteilung der Seelenvermögen auf das bei den ideali-

stischen Lehren Gesagte verweisen; und es ist unsere letzte Auf-

gabe, eine Untersuchung über das Wesen der Gefühle anzustellen,

die seit K a n t in der Psychologie eine tragende Rolle spielen,

einer näheren Betrachtung jedoch erst durch Felix K r u e g e r un-

terzogen werden, der freilich in Ermangelung der kategorialen Be-

griffsmittel der Spannschen Lehre noch zu keinem dieser angemes-

senen Ergebnis gelangen konnte, aber dennoch um ein ganzheitliches

Verstehen der Gefühle verdienstvoll bemüht war.

1

Siehe oben S. 404 f.

2

Siehe unten S. 411 ff.

3

Siehe mein Buch: Die Geisteslehre Othmar Spanns. Ihre Stellung in der

Geschichte der Philosophie, in der Ganzheitslehre und gegenüber der modernen

Psychologie, Graz 1960, S. 47 f.