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3.
Der Gefühlsbegriff in der Ganzheitslehre
In der Ableitung der einzelnen Geistesschichten geht Spann na-
turgemäß von der Ausgliederungsordnung des Geistes aus. Denn es
gibt, so betont er schon in der Kategorienlehre, neben einer Ausglie-
derungsordnung nicht noch eine Ordnung der Rückverbundenheit.
Die im „Schöpfungsgang des Geistes“ sichtbar werdenden inneren
Haltestellen des Geistes könnte man gleichsam als „Leistungsstufen“
bezeichnen, denn es sind ja „Leistungen“, die jeder schöpferische
Geistesakt zu vollbringen hat. In dieser Stufenfolge ist für „Gefühle“
kein Platz. Spann setzt sich mit dem, was die Sprache als Gefühl be-
zeichnet, immer wieder auseinander
1
und kommt zu dem Ergebnis,
daß es sich dabei um keinen strengen Begriff, sondern um einen
Sammelnamen handle, dem mindestens vier verschiedene Bedeutun-
gen zukommen
2
. Es liege daher am Tage, sagt Spann, daß keine
philosophische Lehre eine befriedigende Erklärung der Gefühle fin-
den konnte
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. Und doch meint der allgemeine Sprachgebrauch da-
mit etwas so Bestimmtes, daß dies von jedem auch verstanden wird.
Spann selbst spricht aus, was allen Gefühlen gemeinsam ist: das
U n m i t t e l b a r e
4
.
Damit aber ist schon gesagt, was durch die Ganzheitskategorien
zu einer klaren und eindeutigen Bestimmung führen kann.
U n m i t t e l b a r k e i t i s t R ü c k v e r b u n d e n h e
i t s c h l e c h t h i n ! Es kommt nicht von ungefähr, daß die sprach-
lichen Bedeutungen von „Gefühl“ und „Empfindung“ nahe ver-
wandt sind. Auch die Empfindung drückt Unmittelbarkeit aus, wie
Spann über die Sinnesempfindung sehr treffend sagt: „Das Unmit-
telbare der Empfindung ist es also, wodurch unsere Rückverbindung
mit der Natur erfolgt.“
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Und dasselbe gilt für das Gefühl: durch
seine Unmittelbarkeit ruft es in uns die Rückverbundenheit mit
dem Erlebten wach. Wenn es nun in Anbetracht der nahen Ver-
wandtschaft beider Begriffe noch erlaubt wäre, in d i e s e m Z u -
1
Siehe besonders oben S. 216 ff.
2
Siehe oben S. 218.
3
Siehe oben S. 216.
4
Siehe oben S. 217.
5
Siehe oben S. 316, weiters S. 123 ff. und 313 ff.