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ganzheitlichen Ursprunges „komplexartig“ in Erscheinung treten.
Damit findet ihr scheinbar unganzheitlicher Charakter durch nähere
Untersuchung eine echt ganzheitliche Erklärung.
Die Aufnahme des G e f ü h l s b e g r i f f e s in die ganzheitliche
Pneumatologie scheint uns ein Dreifaches zu verbürgen:
1.
die Fruchtbarkeit der ganzheitlichen Kategorien auch auf die-
sem mit anderen Werkzeugen schon beackerten Felde;
2.
die Lebensnähe der ganzheitlichen Pneumatologie durch grund-
sätzliche Übereinstimmung mit der volkstümlichen und sprach-
lichen Auffassung;
3.
die Vermeidung von Klüften gegenüber den herrschenden Leh-
ren, die hinsichtlich ihrer Gefühlstheorien (selbst in ihren empiri-
stischen Prägungen) nicht grundsätzlich abgelehnt, sondern eher
überhöht erscheinen, wodurch den von ihnen Beeinflußten der Weg
zur Ganzheitslehre wesentlich erleichtert wird.
Und für den Wahrheitssucher stehen am Anfang nicht Begriffe,
sondern Gefühle, weil ja die Rückverbundenheit des Geistes den
Gang seiner Ausgliederung begründet.
Gefühle haben ihre innerste Wurzel in einer Seelenschichte, die
den Menschen nach oben bindet: im G e m ü t . Es ist ein dem Ge-
müte, nicht der klaren Begriffswelt, entsprungenes Wort, das Schlei-
ermacher die Religion schlechthin bezeichnen läßt als „das Ge-
f ü h l der Abhängigkeit“. Das Gemüt ist zugleich der Herd des
Gezweiungsbewußtseins
1
. Auch hier legt uns schon die Sprache
das Wort „Gefühl“ in den Mund, wenn wir von Erlebnissen der
Freundschaft, der Liebe, ja sogar der Natur er griff enheit sprechen.
Als G e f ü h l empfindet der Mensch eine unmittelbare Berührung
mit den Ganzheiten der diesseitigen und jenseitigen Welt.
So durften wir wohl auch mit einer Betrachtung der Gefühle die-
sen Abschnitt beschließen, der versuchte, die Gliederung der im
geistigen und im naturhaften Kosmos eingebetteten Seele, wie sie
uns in der Geschichte der Philosophie von den einzelnen Lehren
der Psychologie dargelegt wird, vom Ganzen her zu erfassen, prü-
fend auseinanderzuhalten und schließlich zu einem möglichst ein-
heitlichen Ganzen zusammenzufügen.
1
Siehe oben S. 43 f.