70
[73/74]
denen Zeitgestalt; und in dieser erkennen wir wieder ein ver-
schiedenes Gepräge der vorräumlichen Wesen. Denn eine ver-
schiedene Wesensart, eine verschiedene Individualität der als
Würfel, Eisblume oder 48-Flächner usw. in die Erscheinung
tretenden Naturdinge ist nicht zu verkennen. Es offenbaren sich
uns je andere Tathandlungen, Wirkungsweisen in diesen Ge-
staltungen. Was sich uns unmittelbar als Verschiedenheit / von
Raumgestalten zeigt, ist in Wahrheit die Übertragung aus an-
deren vorräumlichen Charakteren und anderen Zeitgestalten der
betreffenden Naturwesen in die Räumlichkeit.
Auch bei jener Erscheinung, welche die Kristallographen
„Kristallskelette“
1
nennen, zeigt sich deutlich die innere Rhyth-
mik der Verräumlichung als Grundlage der Kristallbildung.
Alles am Kristall ist Niederschlag innerer Rhythmik seines
Werdens. Jede Raumgestalt ist gefrorene Musik.
B. B e i s p i e l d e r c h e m i s c h e n V e r b i n d u n g
Ein anderes Beispiel der Verräumlichung bildet die chemische
Reaktion. In ihr sehen wir aus alten neue Räume und Gestalten
entstehen, z. B. aus Chlor und Natrium Salz, aus Wasserstoff
und Sauerstoff Wasser. Wir haben schon früher erkannt, daß
es neue Eigenschaften sind, die sich da verräumlichen
2
. Es liegt
klar am Tage, daß damit ein n e u e s W e r d e n , also auch
eine neue Raum- und Gestaltbildung, vorliegt. Und zwar nach
dem Entwerden, nach der Enträumlichung, der Entstaltung der
alten Stoffe.
Das chemische Geschehen ist jedoch nur scheinbar neben der
Kristallbildung ein neues Beispiel der Gestaltbildung, denn es
vollzieht sich grundsätzlich als Kristallisation. Die meisten
chemischen Vorgänge ergeben ja geradewegs Kristalle oder
kristallinische Gebilde. Bei diesen liegt natürlich ebenso wie bei
jedem Kristall eine neue Räumlichkeit mit eigenem Gefüge aus
bevorzugten Richtungen vor. Aber auch in jenen anderen Fällen,
wo nach außen hin sichtbar keine kristallinischen Gebilde
entstehen, sondern sogenannte a m o r p h e S t o f f e oder
F l ü s s i g k e i t e n oder G a s e (die alle amorph sein sollen),
1 Vgl. Ernst Haeckel: Kristallseelen, Leipzig 1917, S. 8f. und öfter.
2
Siehe oben S. 31.