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Schein. Diesen Schluß gilt es ganz zu verstehen. Ginge z. B. die
Welt der Dinge nur aus einem blinden Tanze der Atome hervor,
dann wären diese Dinge nur Schein. Denn das allein Wirkliche
wären dann die Atome. Keine Tat, keine innerlich bedingte,
keine auch nur entfernt geistesähnliche Setzung läge dann den
Dingen zugrunde. Allerdings bleibt noch das Atom selbst als
Wirklichkeit zurück. Aber welch nichtige Wirklichkeit wäre
das! Diese Atome wären eigentlich nur isoliert nebeneinander.
Würde aber ihre Isoliertheit zu Ende gedacht, so müßten sie
sogar ohne „Beziehungen“ sein; darum sowohl in der Isoliert-
heit nichtig wie in der Beziehungslosigkeit nichtig. — Ähnliches
ergibt sich aus der Grundannahme der Stetigkeitsphysik, die
vom Raume mit seinen Eigenschaften ausgeht
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. Auch sie kann
keine Dinglichkeit anerkennen, sondern nur Häufungen von
Eigenschaften, die indessen etwas Gespenstisches insofern an
sich haben, als sie nicht Eigenschaften von etwas, von Dingen,
sind.
Der Wirklichkeitsbegriff der neuzeitlichen Physik endet in der
Verneinung der Wirklichkeit der Natur.
Soll die Natur in ihrer Wirklichkeit gerettet und dem Scheine,
der Nichtigkeit entzogen werden, so muß Tat, Innerlichkeit,
Freiheit in ihr gefunden werden!
Der Physiker wird antworten: wie das machen? Wir erwidern:
zuerst, indem die mechanisch-mathematische Bestimmtheit der
Natur nur als Unterstellung, als Hilfsannahme des Verfahrens,
nicht aber als Wesensaussage gefaßt wird! Dadurch wird eine
andere Naturansicht ermöglicht, welche Freiheit wenigstens
grundsätzlich zuläßt. Sodann, indem der Begriff des Atoms (als
einer sich selbst genügenden Wirklichkeit) fallen gelassen wird.
Dadurch wird abermals einer anderen Naturansicht Raum ge-
geben, welche die Möglichkeit, daß die Natur auch Tat und /
Freiheit sei, insoferne offenläßt, als die Natur nicht mehr als
die blinde Resultante von Korpuskelanhäufungen erscheint.
Diese beiden Forderungen sind selbst im Rahmen der mathe-
matischen Physik erfüllbar. Aufbauenderweise gehörte aller-
dings noch mehr zur Erfüllung unserer Forderung, nämlich ein
bestimmtes V e r f a h r e n , welches das mathematische grund-
sätzlich nur als Hilfsverfahren verwendete. Dieses Verfahren
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Siehe oben S. 28f. und 96f.
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