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und die anderen Gestirne . . . Die Ursache aber, die den Göttern ihr göttliches
Wesen verleiht, muß ein ä l t e r e r Gott sein, als sie selbst es sind
1
.“ Man kann
also die Götter ohne den Urgott gar nicht denken.
„Wenn jemand diese sinnliche Welt anstaunt, mit ihrer Größe und Schönheit,
mit ihrer ewig regelmäßigen Bewegung, mit ihren t e i l s s i c h t b a r e n ,
t e i l s u n s i c h t b a r e n G ö t t e r n und göttlichen Wesen, mit ihren Tieren
und Pflanzen, so steige er empor zu ihrem wahren Urbilde, zur wesentlichen
Welt und schaue auch dort alles Ideale und durch sich selbst Ewige, in seinem
eigenen Leben zusammengefaßt, und an der Spitze dieser Welt den unveränder-
lichen Urgeist (νούς), die unvergleichliche Weisheit und das wahre Leben unter
dem K r o n o s , welcher ist ein Sohn Gottes (nämlich des Einen, des U r a -
n o s ) und (welcher ist) der Urgeist“
2
.
Plotin geht vom Gesamtganzen aus, findet darin als das Höchste das göttliche
Eine, έν, von ihm U r a n o s genannt, als dessen Emanation, Hypostase oder
zweite Stufe den voüg oder Urgeist, welchem K r o n o s entspricht und als dritte
Hypostase die Weltseele, welcher Z e u s entspricht.
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Wir belegten den Begriff des Stufenbaues verhältnismäßig aus-
führlich, weil wir in ihm nebst der religiösen Kategorienlehre einen
Schlüssel zum Verständnis der Mythologien sehen. Daß sich diese
Beispiele für Stufenbau, Rangfolge und Generationenfolge der Göt-
ter unschwer vermehren ließen, wird man wohl zugeben. Überall
in der Mythologie, auch dort, wo wir nur Trümmer sehen, läßt
sich eine solche Stufung erkennen, wie z. B. in der germanischen
Religion, in der sowohl vor, wie nach der Götterdämmerung hinter
den Göttern noch eine höhere Urmacht in verschiedener Weise an-
gedeutet wird.
Alle N a t u r g o t t h e i t e n sind im Stufenbau der Götter grundsätzlich
untergeordnet, weil die Natur die tiefste Stufe des Geistes darstellt. Sie spiegeln
dabei zum Teil die höheren geistigen Gottheiten sinnbildlich wieder.
In der praktischen Gottesverehrung der Menge zwar sind die Naturgottheiten
nichts Untergeordnetes, die Fruchtbarkeitsreligion nimmt sogar den breitesten
Raum ein; aber über den Naturgottheiten stehen auch da die höheren geistig-
sittlichen. Sonne, Mond und Sterne wieder galten den Alten nicht als etwas rein
Stoffliches wie der Neuzeit seit Kopernikus und seit den Frauenhoferischen
Linien, sondern als höhere Wesen aus ätherischer Materie. Indessen war ihnen
die natürliche Sonne, als der Herrscher des Himmels, zugleich in irgendeiner
Weise nur der R e p r ä s e n t a n t der höchsten Gottheit. Und der Mond teilte
sich darin mit der Sonne. In der mystischen Symbolik bedeutet die Sonne stets
Gott selbst.
Bekanntlich mußte die christliche Kirche in der Bezeichnung des Herrentages
als Sonntag auf fest verwurzelte Anschauungen Rücksicht nehmen und damit
Christus gleichsam als die Sonne der Gerechtigkeit verkünden.
1
Plotin: V. Enneade, Buch 6, deutsch von Otto Kiefer, Bd 1, Jena 1905, S. 20.
2
Plotin: V. Enneade, Buch 6, deutsch von Otto Kiefer, Bd 1, Jena 1905, S. 21,
von mir gesperrt.