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Berge zerstäuben, das Firmament wird zerrissen, Himmel und Erde
sind in Bewegung
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Die Vorstellung des Welt g e r i c h t e s hingegen, welche so vie-
len Religionen eigen ist, kann man, obzwar sich Sinnbilder einmen-
gen, nicht als exoterisch betrachten, da es hier mit der ethischen
Seite der Sache durchaus ernst ist.
Von der esoterischen Deutung des Weltbrandes aus versteht man
um so besser den Begriff der G o t t e s s t r e i t e r s c h a f t , wel-
cher in der Zarathustrischen und indischen Religion (Kampf der
Götter gegen die Dämonen mit Hilfe von Menschen), besonders
aber auch der germanischen Religion, hier als E i n h e r i e r t u m ,
grundlegend ist. Denn der Mensch ist es hier, welcher durch seine
Erkenntnis den mystischen Akt der Weltreinigung vollzieht und so
erst ganz auf Gottes Seite tritt.
Damit sind wir schon auf die exoterische Einkleidung t h e o -
l o g i s c h e r B e g r i f f e gekommen: Die Z e r r e i ß u n g des
Dionysos, die Zerreißung des Orpheus, des Osiris, die S e l b s t -
o p f e r u n g Wotans am Weltenbaum sind unmißverständliche
Einkleidungen der Mystik, in welcher nur Selbsthingabe und Selbst-
aufopferung zum Ziel führen. Freilich haben die Mythen vom
l e i d e n d e n , s t e r b e n d e n u n d w i e d e r e r s t e h e n d e n
G o t t noch andere, geheimnisvolle Wurzeln — in der religiösen
Kategorie der E r l ö s u n g , einem mystischen Urgedanken.
Auch der Begriff der E m a n a t i o n , das heißt des Ausfließens
der / Welt aus der Gottheit in den polytheistischen Theologien und
Philosophien hat eine exoterische Seite, sofern er nämlich auf solche
Selbsthingabe und Selbstopferung deutet. Er ist daher in dieser Hin-
sicht ebenso als exoterisches Bild mystischer Erfahrung, damit auch
der Schöpfung, zu verstehen wie die Zerreißung — das heißt nur
als Bild! Wir glauben nicht fehl zu gehen, wenn wir daraus folgern,
daß die Emanation, mystisch verstanden, nicht als ein strenger Be-
g r i f f des Ausfließens, also nicht als ein Zeugnis materialistischer
Auffassung der Schöpfung anzusehen sei. Nachträglich mag er das
öfters geworden sein.
Die Feier des G e b u r t s t a g e s hatte ursprünglich kultischen
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Vgl. Lehrbuch der Religionsgeschichte, herausgegeben von Alfred Bertholet
und Eduard Lehmann, Bd 2, 4. Aufl., Tübingen 1925, S. 629 f.