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die Welt aber, die immer in höchster Not ist, hofft auf ihn als den
Befreier.
Daß die zehnstufigen Weihen des d e u t s c h e n R i t t e r -
o r d e n s keinen mystischen Kern gehabt haben sollen, läßt sich
schwer glauben.
War in der gesamten alten und auch noch in der mittelalterlichen
Welt das mystisch-magische Bewußtsein wach, so folgte daraus, daß
man auch die a l t e n H e l d e n l i e d e r darnach zu beurteilen
habe. Erst wenn man sie als exoterische Einkleidungen esoterischen
Geschehens ansieht, erst dann, so dünkt uns, hat man ihren wahren
Lebensgehalt erfaßt. Sollte sich das nicht an dem größten mittel-
alterlichen Epos, am P a r z i f a l Wolframs, bewähren? Wir wollen
den Versuch machen.
Der mit Narrenkleidern angetane, kindlich-einfältige Heldensohn, Parzifal,
zieht in die Welt hinaus, verstrickt sich in ihre Kämpfe, in denen er die stärksten
Ritter überwindet und in Unschuld die schönste junge Königin gewinnt.
Er zieht im fünften Abenteuer aus, seine Mutter zu suchen und findet — den
Gral! Denn seine Mutter, der er entfloh, ist in Wahrheit die Materie (Herzeleid)
und schon tot: Parzifal ließ bereits die Schwere und Finsternis des Stofflichen
innerlich hinter sich. (Es ist kein Zufall, daß auch in Mozarts Mysterienspiel,
der „Zauberflöte“, die Königin der Nacht, die Mutter Paminas, welche Pamino
zu retten auszieht, immer ohnmächtiger wird und schließlich in das Nichts ver-
sinkt, als der Held in das Reich des Lichtes eindringt.) Das mystische Licht geht
ihm auf. Allerdings kann Parzifal den Gral noch nicht gewinnen. Er unterläßt
d i e F r a g e .
So der erste Teil des Gedichtes. Wir erkennen darin die menschliche Seele,
welche, wie Platon sagt, nach dem Verlust ihrer Flügel in die Welt kommt, sich
in diese verstrickt, ihre Kämpfe ausficht und den höchsten Preis gewinnt —
nämlich zu sich selbst kommt und als Seele die Augen aufschlägt. Sie findet das
mystische Licht, den Gral. Zwar kann sie dieses Licht nicht festhalten, den Gral
noch nicht erlangen. Parzifal unterläßt die Frage: Er ist seiner selbst noch nicht
voll mächtig, noch nicht voll erwacht, überwindet noch nicht die tump-heit.
Vorerst war es nur die wie im Traum erhaschte Fühlung mit der Uberwelt, wo-
durch er das mystische Licht erlangte. (All die vielen Sagen, in denen der Held
als Tor mit Herzenseinfall beginnt, nachher aber zur Herrlichkeit aufsteigt, so
unter anderem auch der B e o w u 1 f , haben ursprüng- / lich denselben mystischen
Sinn.) Unerläßlich ist es, so weit zu kommen, daß der Geist seiner völlig bewußt,
daß er seiner selbst mächtig werde und sich mit allen Kräften des mystischen
Lichtes zu bemeistern imstande sei.
Im zweiten Teil wird nun geschildert, wie das einmal gewonnene Licht Parzifal
unaufhörlich weitertreibt, die Ritterschaft, das ist den mystischen Einweihungs-
grad, zu erlangen und den Gral selbst nochmals zu suchen, vor dessen G l a n z ,
wie Wolfram sagt, alles erbleicht, welcher unsterblich macht, ewige Jugend ver-
leiht — die unio mystica, das göttliche Licht selbst ist es, welches Parzifal zuletzt
im Gral dauernd erlangt und was ihm nicht nur die himmlische Welt zur Heimat
macht, sondern auch die Herrschaft über die irdische Welt (deren der Mystiker ja