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der Staatseinmischung liegen, was freilich der Krisengeschichte schroff
widerspricht. — Die individualistische Theorie hat auch keine Begriffsmittel,
um die Krisenerscheinungen zu erfassen. Denn Eigennutz, Angebot,
Nachfrage, Preisgesetz, Überkapitalisation (die aus dem Eigennutze folgen
soll
1
) sind keine Begriffe, die an die allgemeine, ganzheitliche Natur der
Krisenerscheinungen herankommen. Einzig die monetäre Krisentheorie macht
davon eine gewisse Ausnahme. — Ferner fassen die Individualisten die
Krisenvorgänge fälschlich als gesetzliche, m e c h a n i s c h e A b l ä u f e auf.
Die
Frucht
dieser
Verirrung
ist
das
moderne
„ K o n j u n k t u r b a r o m e t e r “ , das ist eine statistische Kurvenbildung, die
Voraussagen ermöglichen soll (was falsch ist)
2
.
(b) Anders der organische Standpunkt, der von Anbeginn die Krise als
ganzheitliche Erscheinung auffaßt und in den Begriffen Teilinhalt, Stufe,
Leistung, Rang, richtige—unrichtige Wirtschaft, Entsprechung— Störung der
Entsprechungen und so fort auch die Begriffsmittel zu ihrer Erklärung besitzt.
Die universalistische Krisenlehre, wie sie sich vom Standpunkte des Verfassers
aus ergibt, kann jenen angeblich mechanisch bedingten „Kreislauf“ von
Aufschwung und Niedergang nicht zugeben. Denn, wie oben ausgeführt, muß
bei jeder Wirtschaftsumgliede- rung einem Aufschwung, z. B. durch ein neues
„In-die-Mode-Kommen“, eine Rückbildung n e b e n h e r gehen, z. B. durch
„Außer-Mode-Kom- men“; oder: dem Aufschwung im Kraftfahrwesen
entspricht eine Rückbildung (Krise) in der Pferdezucht. Daß auch der /
Aufschwung einmal in sich zusammenbricht, hegt nicht an Überkapitalisation,
sondern an anderen Fehlem der Entsprechungsvorgänge, wie sie z. B. der
Verfasser in seiner „Theorie der Preisverschiebung“, untersuchte
3
; ferner
daran, daß die individualistische Wirtschaft grundsätzlich zur Chaotisierung,
zur Krise führt.
Die üblichen Einteilungen, wie Absatzkrisen, Kreditkrisen, Speku-
lationskrisen, Börsenkrisen, Industriekrisen, bleiben, obzwar nützlich, auf der
Oberfläche. Die Unterscheidung eigener „Disproportionalitätstheorien“ ist
insofern falsch, als jede Krisentheorie schließlich Fehlentsprechungen,
„Disproportionalitäten“, feststellen muß. — Wenn die Wirtschaft ein
Gliederbau der Mittel ist, dann muß die Krise als eine S t ö r u n g d e r
E n t s p r e c h u n g s v e r h ä l t n i s s e bestimmt werden. Es gibt dann Krisen:
1. aus Ä n d e r u n g d e r Z i e l e (z. B. „In-die-Mode-kommen“:
Alkoholgegnerisches Vegetariertum bedingt Aufschwung im Gemüse- und
Obstbau, Krise im Weinbau — „Außer-Mode-Kommen“); 2. aus
S t ö r u n g e n i m G l i e d e r b a u d e r M i t t e l selbst und 3. aus Än-
d e r u n g e n i n d e n N a t u r b e d i n g u n g e n d e r M i t t e l (z. B. Er-
schöpfung von Rohstofflagern). Die Krisen aus Änderungen im Glieder-
1
Siehe bei Marx, oben S. 172 f.
2
Näheres darüber bei Walter Heinrich: Grundlagen einer universali-
stischen Krisenlehre, Jena 1928, S. 114 fl.
3
Theorie der Preisverschiebung, Wien 1913. — Weiteres siehe bei Walter
Heinrich: Grundlagen einer universalistischen Krisenlehre, Jena 1928, S. 210
fl., 293 fl. und 330 ff.