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danken wie die Übererzeugungslehre, aber von der Verbrauchsseite her und
betont noch mehr den Verteilungsfehler
1
.
(4) Die m o n e t ä r e o d e r q u a n t i t ä t s t h e o r e t i s c h e K r i -
s e n l e h r e , welche Marktlage und Krise auf Veränderungen der Geldmenge
zurückführen will (Currencyschule). Bei zunehmender Notenausströmung
steigen die Preise (Hausse, Konjunkturaufstieg), bei abnehmender sinken sie
(Baisse, Zusammenbruch). Nach W i c k s e i l dauert die Notenausströmung
an, solange der Diskontsatz niedriger ist als der „natürliche Zinsfuß“. — Da
sowohl die Quantitätstheorie des Geldes wie des Diskonts hinfällig ist
2
, ist es
auch die darauf gebaute Krisen- und Konjunkturtheorie. Im Geldwesen kann
überdies stets nur ein Teilgrund für die Krisen liegen.
(5) Die Ü b e r k a p i t a l i s i e r u n g s l e h r e , die namentlich von Cassel
ausgebildet wurde, sieht die Ursache der Krisen in der zu raschen Vermehrung
des stehenden Kapitals in Zeiten des Aufschwungs. — Diese Lehre ist
verkappter Marxismus, denn Marx erklärte die Krisen primär aus dem
automatischen Vordringen des „konstanten Kapitals“, also aus
Überkapitalisierung
3
. Sie erklärt gewisse „Absatzkrisen“ richtig, ist aber keine
allgemeine Krisenerklärung. Vielmehr ist U n t e r k a p i t a l i - s a t i o n
ebenso ein Krisen- / grund. Viele Krisenheilungen sind durch Kapitalzufuhr
erfolgt, wie die Krisengeschichte lehrt.
(6) Die E r k l ä r u n g d e r K r i s e n a u s e i n e m K r e i s l a u f e , und
zwar von Aufschwung und Niedergang der Marktlagen, knüpft ebenfalls an
einen Grundgedanken der Marxischen Konzentrationslehre an
4
Sie wurde
früher unter anderen von Jevons — Periodizität der Sonnenflecken, dadurch
der Ernteergebnisse! —, neuestens von Spiethoff, Ludwig Pohle, Sombart und
anderen versucht. „In der freien kapitalistischen Marktwirtschaft ist das
Schicksal des Aufschwunges bisher immer die Übererzeugung gewesen“, die
meist zum plötzlichen Zusammenbruch, zur Krise, führt
5
. Das Kernstück der
Lehre Spiethoffs ist die Überkapitali- sation im Bereiche der „Güter des
mittelbaren Verbrauches“ (Eisen, Kohle, Ziegel, Zement, Holz), welche
Spiethoff von den „Ertragsgütern“ oder Anlagen (Bergwerken, Ziegeleien,
Maschinenfabriken) und von den Genußgütern mit ihren Rohstoffen trennt.
— Diese Lehre ist unhaltbar. Auch der Gedanke eines gesetzlichen Kreislaufes
ist falsch und widerspricht der Krisengeschichte.
(7) Die o r g a n i s c h e K r i s e n l e h r e . Alle diese Krisenlehren sind
individualistisch und erfassen bestenfalls nur Teilvorgänge.
(a) Vom rein individualistischen Standpunkte aus, dem „laisser-faire“,
dürfte es grundsätzlich keine Krisen geben. Die „Harmonie“, die „Selbst-
steuerung“ der Wirtschaft (z. B. durch das „Gesetz des Ausgleichs der
Profitraten“) müßte sie verhindern. Die Krisengründe könnten nur in
1
Siehe Rodbertus’ „Gesetz der fallenden Lohnquote“ und Marx, oben S.
169 und S. 171 ff.
2
Siehe oben S. 234 und 236.
3
Siehe Konzentrationslehre, oben S. 172 f.
4
Siehe oben S. 179.
5
Arthur Spiethoff: Artikel Krise im Handwörterbuch der Staatswis-
senschaften, Bd 6, 4. Aufl., Jena 1925, S. 8 ff.