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rungen entspricht. — Schon im Ersten Weltkriege haben alle kriegführenden
Länder zur Deckung ihrer Banknoten Goldausfuhrverbote erlassen und sind
daher P a p i e r w ä h r u n g s s t a a t e n geworden. Nur Schweden wehrte
durch Einstellung der freien Prägung die Goldeinfuhr ab, ging sozusagen auch
zur Papierwährung über, aber aus dem entgegengesetzten Grunde, nämlich um
der drohenden „ G o l d i n f l a t i o n “ zu begegnen
1
.
β. Die K a u f k r a f t s t h e o r i e
Die Kaufkraftstheorie wurde in Anknüpfung an Ricardo von dem
Schweden Gustav Cassel begründet
2
. Für den Preis des Geldes im Auslande, so
sagt Cassel, kann nicht wie bei anderen Waren Angebot und Nachfrage
entscheiden. Beim Gelde besteht die / Verwendung nicht im Verbrauch wie
bei anderen Waren, sondern im Kauf von Waren und in Zahlungen.
Entscheidend ist daher das Verhältnis der Kaufkraft des fremden Geldes im
fremden Lande zur Kaufkraft des eigenen Geldes im eigenen Lande, das heißt
die „Kaufkraftsparität“. —Hiermit wird der innere Geldwert die Grundlage des
äußeren und steht vor der Zahlungsbilanz. Auch die Kaufkraftslehre, die
notwendig an die Quantitätslehre geknüpft ist, reicht aber, obwohl sie in
manchen Stücken ein Fortschritt gegenüber der mechanischen
Zahlungsbilanzlehre ist, nicht aus, um die Erfahrung zu erklären. Schon vor
dem Kriege war z. B. der Wechselkurs Wien-Berlin nie eine vollkommene
Kaufkraftsgleichung, und überhaupt war und ist es heute kein einziger
Wechselkurs der Welt. Die P r e i s e b e n e z w i s c h e n d e n
V o l k s w i r t s c h a f t e n
b l e i b t
n o t w e n d i g
d a u e r n d
v e r s c h i e d e n . Die Verschiedenheit ist gerade durch die besondere
organische Stellung jeder Volkswirtschaft im Gesamtganzen der
Weltwirtschaft bedingt.
γ.
E i n e o r g a n i s c h e T h e o r i e d e s ä u ß e r e n G e l d w e r t e s
hätte von der weltwirtschaftlichen Gliedstellung der Volkswirtschaft aus-
zugehen. Für sie ist der Stand von Angebot und Nachfrage an Zahlungsmitteln
sowie der inneren Kaufkraft nicht das Erste, sondern das Abgeleitete, ferner
nicht mengenhaft, sondern qualitativ (gliedhaft) zu beurteilen, und zwar als
eine Folge der P r o d u k t i v i t ä t s b i l a n z
3
. — Je größer die
S e l b s t v e r s o r g u n g (Autarkie) einer Volkswirtschaft, um so leichter
kann sie die weltwirtschaftlichen Bilanzschwankungen ausgleichen.
2 .
D i e K r i s e n l e h r e n
4
Krisen sind Entsprechungsstörungen im Gliederbaue der Wirtschaft.
1
Die Zahlungsbilanzlehre vgl. oben S. 27 f.
2
Gustav Cassel: Die wirtschaftliche Widerstandskraft, deutsch von
Friedrich Stieve, Berlin 1916. — Ähnlich zum Teil John Maynard Keynes: Die
Zukunft des englischen Pfundes, in: Ständisches Leben, Jg 2, Berlin 1932, S. 121
ff.
3
Vgl. oben S. 31 und S. 237.
4
Aus dem großen Schrifttum: Walter Heinrich: Grundlagen einer
universalistischen Krisenlehre, Jena 1928. — Ernst Lagler: Theorie der
Landwirtschaftskrisen, Wien 1935.