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kennt die Welt aus innerer Wesensanschauung der Dinge, wie es

uns abermals die soeben angeführten Worte Eichendorffs verdeut-

lichen können

1

.

Damit ist zugleich die Geburt der K u n s t verständlich ge-

macht. Aus geschautem Wissen folgt wesensgemäß zugleich der

Ausdruck dieses Wissens, seine Gestaltung — die Kunst.

Ebenso ist damit auf den U r s p r u n g d e r S p r a c h e hin-

gedeutet. Das eingebungsvolle, schauende Wissen steht (logisch)

vor der Sprache. Es gilt der Vorrangsatz: (visionäres) Wissen ist

logisch vor der Sprache, der Gedanke (logisch) vor dem Wort. Denn

die Sprache enthält eine Fülle von innerer Erkenntnis und äußerer

Anschauung — sie setzt sie voraus und gestaltet sie. Sie gestaltet

sie nicht bloß im Laut, Wort, sondern auch in jenem, nie genug zu

bestaunenden, zugleich logischen und plastisch-gestaltenden Glieder-

bau, den wir G r a m m a t i k u n d S y n t a x zu nennen pflegen.

Die darin ausgedrückte tiefe Wesenserkenntnis, urkräftige Logik

und Bildekunst, können nie und nimmer aus der sensuellen Er-

fahrung allein kommen! Man bedenke nur, welcher Aufwand an

Logik und Gestaltungskraft allein schon die Unterscheidung des

Adjektivs vom Adverb erfordert. Das m ö g e d o c h j e d e r

b e h e r z i g e n , d e r d i e S p r a c h e n a t u r a l i s t i s c h ,

a u s T i e r l a u t e n , z u e r k l ä r e n u n t e r n i m m t ! Nur

der erhöhte Geisteszustand, die Verzückung und die in ihr er-

reichte Verbindung mit dem Wesen der Dinge, konnte sowohl jene

Erkenntnis vollbringen, welche der Sprache vorsteht, wie jene Ge-

staltung, welche der Ausdruck, das Wort, in sich schließt. Als In-

begriff von Ausdruck, Wortgestalt ist die Sprache Kunstwerk, als

Inbegriff von Grammatik und Syntax ist sie Erkenntnis und Logik,

zugleich intuitives Eindringen in den Wesensgehalt der Welt und

des Geistes von unfaßbarer Tiefe.

Weder der heutige noch der geschichtlich uns bekannte Mensch

konnte jene gewaltige Tat der Schauung und des Verstandes voll-

bringen, die in den Wort-, das heißt Namensbildungen der Sprache

und unter anderem in den erstmaligen Unterscheidungen des Kon-

junktivs / und Optativs, der grammatischen Zeiten, der syntakti-

schen Verknüpfungen von Subjekt, Prädikat und Objekt liegt.

1

Siehe oben S. 351.

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