[408/409]
289
nen Erleben hervorgeht, erforschen. Shakespeare, Mozart, Beet-
hoven leisten hier als Führer des Jüngers unendlich viel mehr als
tote Maschinen oder — sagen wir es gleich heraus — ärmliche Frage-
bogen und Statistiken. — Im Ganzen: Die gerätlich und statistisch
vorgehende Seelenforschung hat außerhalb der Sinnesphysiologie
n i c h t s geleistet und ist ein Irrweg. Als ein großes Hindernis
einer gedeihlichen Entwicklung der Verfahren betrachten wir im
besonderen die allzu einfache, daher falsche Einteilung der seelischen
Erscheinungen in „Vorstellung, Gefühl, Wille“. Die mit gerätlichen
und statistischen Versuchen arbeitende Seelenlehre aber ist ihrerseits
viel zu begrifflos, philosophisch viel zu ungebildet, um zu neuen
Einteilungen zu gelangen.
In der theoretischen G e s e l l s c h a f t s - , S t a a t s - u n d
V o l k s w i r t s c h a f t s l e h r e stehen die Dinge ähnlich. Die
Positivisten versuchten seit Comte und Spencer die Wissenschaft
vor allem durch „Erweiterung der Erfahrung“ zu fördern. Die Ge-
schichte und Völkerkunde sollten den neuen Erfahrungsstoff (neben
der Statistik) liefern. Hier kämen also wieder Technik und Theorie
der Geschichtswissenschaft, Statistik und Völkerkunde für den Jün-
ger in Betracht. Die Folge dieser Forschungsrichtung (neben welcher
das falsche Bestreben, „Naturgesetze“ der Gesellschaft und Wirt-
schaft zu finden, einherging) war aber in Wahrheit kein wissen-
schaftlicher Fortschritt, im Gegenteil: ein Versanden im Empirie
und Historismus! Der Schwerpunkt der Forschung muß immer im
rein Theoretischen selbst liegen! Geschichte und Völkerkunde muß
z. B. von der Ausgliederungsordnung der Gesellschaft und Wirt-
schaft erst a u s g e h e n — die Theorie ist erst der Schlüssel für die
Auffindung, Erschließung der Tatsachen! Darum können wir dem
Jünger nicht dringend / genug raten: die großen M e i s t e r der
Volkswirtschaftslehre, Staatslehre, Rechtslehre, Gesellschaftslehre —
und zwar aller Lager — in deren Hauptwerken selbst zu studieren.
Man darf nicht glauben, daß diese Meister nun ein für allemal durch
die „Fortschritte der Wissenschaft“ erledigt seien. Weit gefehlt!
Diese Meister durchschauten in ihrer Weise die Sachzusammenhänge
ihres Gegenstandes — und an ihrem genialen Blicke lernt der Jün-
ger am besten den Blick in die Tiefe von dem Haftenbleiben an der
Oberfläche zu unterscheiden. Das ist freilich vor allem dem Begab-
teren gesagt. Daß natürlich daneben das Handwerkszeug gründlich
19 Logik