Table of Contents Table of Contents
Previous Page  7700 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 7700 / 9133 Next Page
Page Background

290

[409/410J

gelernt werden muß, daher im Anfange z. B. quellenkritische Son-

derarbeiten für den Geschichtswissenschaftler, statistische Studien

für den Gesellschafts-, Staats-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler,

eine sinnesphysiologische Studie für den Seelenwissenschaftler usw.

sehr nützlich sind, brauchen wir nicht weiter zu begründen. Nur

glaube man ja nicht, mit diesen Vorübungen den heiligen Boden der

theoretischen Wissenschaft selbst schon betreten zu haben.

Worauf man aber bei gründlichem Studium der Theorie der ein-

zelnen Geisteswissenschaften und ihrer Verfahrenfragen immer un-

abweislicher stoßen wird, ist die P h i l o s o p h i e . Die Alten be-

trieben die Gesellschaftslehre hauptsächlich in der Form der Sitten-

lehre [Ethik). Diese aber wurzelt grundsätzlich in der Philosophie.

Es ist daher ein geradezu barbarischer Zustand zu nennen, wenn un-

sere Geschichtswissenschaftler, Archäologen, Philologen, Völker-

kundler, ebenso wie unsere Gesellschafts-, Staats-, Rechts- und

Volkswirtschaftswissenschaftler und sogar die Seelenwissenschaftler

keine gründlichen philosophischen Studien betreiben! Hier verfolge

der Jünger das Ziel, neben / einer sorgfältigen Durcharbeitung eini-

ger Geschichtswerke der Philosophie (ich darf hierfür als Mindest-

maß die kleine Geschichte der Philosophie von Schwegler und mei-

nen „Philosophenspiegel“ empfehlen) die allergrößten Meister der

Philosophie, die ihre Zeit bestimmten — Platon, Aristoteles, Leib-

niz, Kant, Fichte, Schelling, Hegel, Meister Eckehart, die altindischen

Upanischaden — in einigen ihrer Hauptwerke zu studieren. Diese

Philosophen sollen den jünger, welcher Wissenschaft er sich auch

widme, durch sein Leben begleiten. Dazu reicht ein ganzes Leben

gerade aus — „das Leben ist kurz, die Kunst ist lang“! Ein Volk,

dessen Gebildete nicht ihr ganzes Leben hindurch neben ihren Fä-

chern und Berufen mit der hohen Philosophie in Fühlung bleiben,

geht unvermeidlich einer V e r f l a c h u n g s e i n e r K u l t u r

entgegen! Das gilt namentlich für das deutsche Volk! Wir haben

Zeugnisse, wonach um die Wende zum 19. Jahrhundert die Werke

Kants, Fichtes, Schellings, Hegels in den Buchläden mehr verlangt

wurden, als selbst die Goethes und Schillers. Wo ist jene paradie-

sische Höhe, die damals erreicht wurde? Heute kennt man jene

Großen vielfach nur noch dem Namen nach und versinkt immer

mehr in flache Empirie.