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griff eines Konkret-Allgemeinen, der Stufe). Wenn nun Perikies, der
Staatsführer, z. B. als Neugestalter auftritt, liegt hier nicht doch ein
„Wert“, eine „Wertbeziehung“ des Geschichtsschreibers vor?
Nun, der Begriff des Wertes ist dabei bloß abgeleitet! Was wesent-
lich vorliegt, sind: die wesenhaften A u s - u n d U m g l i e d e -
r u n g s e r f o r d e r n i s s e d e s a t h e n i s c h e n S t a a t e s !
Diese sind es nämlich, welche der Staatsführer Perikies entweder
r i c h t i g sah und wahrnahm oder irrigerweise für solche hielt
und daher irrigerweise wahrnahm! Er bereitete z. B. den Pelopon-
nesischen Krieg vor, indem er die darin zum Ausdrucke kommen-
den Umgliederungserfordernisse für wesensnotwendig oder wenig-
stens unvermeidlich hielt. Dieser Art sind die Fragen des Ge-
schichtsschreibers — sind es „Wertfragen“? — es sind Fragen,
welche durch die A n a l y s i s d e r W i r k l i c h k e i t entschie-
den werden!
Man kann das ja auch „ W e r t “ nennen, aber: 1. sind dann die
Werte der Subjektivität entzogen, sie werden / durch die o b j e k -
t i v gegebenen Aus- und Umgliederungserfordernisse der Ganz-
heiten bestimmt (gleichwie die Arznei durch die Lebenserforder-
nisse des Organismus); 2. ist die Bestimmung dieser Ausgliederungs-
erfordernisse grundsätzlich eine Frage der Gesellschafts-, Staats- und
Wirtschaftslehre sowie der Geisteslehre, da diese Wissenschaften die
Ganzheitsanalyse der Gegenstände des Geschichtsschreibers zu ihrer
Aufgabe haben.
Der Ganzheitsbegriff nimmt so den Wertbegriff in sich auf.
Die Windelbandisch-Rickertische Geschichtslogik zeigt auch hier
wieder das Halbe des Neukantianismus. Der E m p i r i s m u s löst
den „Wert“ einfach in Gefühlsbetontheit der Vorstellungen oder in
äußere Nützlichkeit, Lebensförderung nach der Weise des Prag-
matismus auf; der Neukantianismus in eine rein formelle „Gel-
tung", auf welche sich die Begriffe „beziehen“ sollen! Erst der Idea-
lismus geht auf die letzte Begründung zurück, indem er die meta-
physische Fundierung aufsucht. Wir erreichen sie durch die ganz-
heitliche Analysis, welche Ausgliederung und Rückverbundenheit
unterscheidet und alles, was das reine Wesen der Ausgliederung för-
dert, als r i c h t i g , alles, was es stört, als u n r i c h t i g bezeich-
net. Das ist keine „Wertbeziehung“, vielmehr objektive Wesens-
erkenntnis!