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Die Einheit der Verfahren aller Gesellschaftswissenschaften wies
ich an einem anderen Orte ausführlich nach
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2. Persönliches
Die persönlichen Voraussetzungen aller erfolgreichen wissen-
schaftlichen Arbeit liegen in der Eingebung. Wie diese zu erlangen
ist, ist ein Geheimnis des Genius.
Dennoch sind auch manche Hinweise möglich, die dem Jünger
Dienste leisten können. Die uralten Weisheitslehren der Inder, Chi-
nesen, Griechen können uns hier mehr sagen als die europäische
Wissenschaft.
Das Geheimnis jeder Eingebung heißt: Sammlung, Versenkung!
Zuerst muß man allerdings seinen Gegenstand äußerlich, das ist von
der Erfahrungsseite her, gründlich kennen. Um das ernste, treuliche
Studium, um lebendigen, anschaulichen Besitz seines Wissensstoffes
kommt also der Jünger niemals herum. Damit sind aber nur die
Vorbedingungen zur Erlangung der Eingebung gegeben. Diese selbst
kann man nur als Lohn eines vollkommenen Erfülltseins vom Ge-
genstande erlangen. Der Forscher muß in seinem Gegenstande auf-
gehen, nichts anderes darf ihn rühren, nichts anderes in der kriti-
schen Zeit innerlich beschäftigen. Dann erwacht gleichsam das In-
nere des Gegenstandes im Geiste des Forschers selbst, er durchschaut
ihn; dessen platonische Idee wird in ihm wach, wie es uns Eichen-
dorff so faßlich erklärt:
Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.
Das Zauberwort trifft man nur, wenn man in dem Dinge ganz
leibt und lebt, man könnte noch besser sagen: wenn das Ding in uns
lebt, in unserem Geiste Platz nimmt, erwacht, von anderem unge-
stört.
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Das gilt für Kleines wie für Großes. Wer z. B. über Geldwesen
schreibt, muß von dem Gegenstande ebenso erfüllt, ja besessen sein,
wie wer über die größten Fragen des menschlichen Lebens Einsicht
erlangen will. In diesem Erfüllt-, Besessensein liegt die Quelle aller
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Vgl. mein Buch: Gesellschaftslehre, 4. Aufl., Graz 1969, S. 649 ff.
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