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„In dem înfluzze der gnaden klimmet ûf alzehant daz lieht der vernünftekeit,
dâ glenzet got in ein unbedeckelîchez lieht. D e r a l s u s k r e f t e c l î c h e n
b e g r i f f e n w ê r e i n d i s e m l i c h t e , d e r w ê r e a l s v i l e d e l e r
w i d e r e i m e a n d e r e n m e n s c h e n a l s e i n l e b e n d e r m e n s c h e
w i d e r e i m e , d e r g e m â l e t i s t a n d e r w a n t.“
1
Eckehart schreibt demnach dem mystischen Erlebnisse eine alle
Kräfte der Seele umwandelnde Wirkung zu.
„Denne ist ganz lûter tac in der sêle, swenne allez daz diu sêle ist erfüllet
wirt mit götlîchem liehte.“
2
„ ... in der sêlen, diu alsus lûter ist, in der got vindet einen widerschin sîn
selbes, .. .‘‘
3
.
„In der inerliuhtunge klimmet sie über sich in dem gütlichen liehte.“
4
Meister Eckehart warnt aber zugleich davor, das Licht als ein be-
stimmtes Etwas von Gott zu nehmen:
„So sich got in die sêle bildet und in giuzet, nimest dû in denne als ein lieht
oder ein wesen oder ein güete, bekennest du noch iht von ime, daz enist got
niht. Seht, daz kleine [ein bestimmtes Etwas] sol man über gân unde sol alliu
zuolegunge abe nemen unde got bekennen ein."
5
Bald darauf heißt es aber doch, da „Licht“ eben nur sinnbildlich
zu verstehen ist:
„Got ist ein wâr lieht: swer daz sehen sol, der muoz blint sîn“
6
.
Jeder Kenner Eckeharts wird zugeben, daß sich diese Belege fast
beliebig vermehren ließen. Sie genügen aber reichlich, um zu bewei-
sen, was wir oben behaupteten, daß der mystische Seelenzustand
selbst nur ein b e g r i f f l o s e s I n n e w e r d e n in sich schließe;
1
Pf. 87, 22: In dem Strome der Gnade steigt das Licht der Vernunft mehr
und mehr empor, dorthin, wo Gott in unverhülltem Lichtglanze strahlt. Wer so
stark in diesem Licht befaßt wäre, der wäre um so vieles edler gegen einen an-
deren Menschen wie ein lebender Mensch gegen einen an die Wand gemalten.
2
Pf. 129, 25: Dann wird heller Tag in der Seele sein, wenn die ganze Seele
mit göttlichem Licht erfüllt wird.
3
Pf. 151, 23: ... in der Seele, die so hell ist, in der findet Gott einen Wider-
schein von sich selbst.
4
Pf. 161, 26: In dieser Erleuchtung klimmt sie über sich (hinaus) im gött-
lichen Lichte.
5
Pf. 82, 5: Wenn Gott sich in die Seele einbildet und eingießt, nimmst du
ihn dann als ein Licht oder als ein Sein oder als eine Gutheit, — erkennst du
noch irgend etwas von ihm, so ist es nicht Gott. Seht, über dies „Kleine“ muß
man hinausschreiten und muß alles Beiwerk (alles Akzidentelle) ablegen und
Gott als Eines erkennen.
6
Pf. 82, 36: Gott ist ein wahres Licht: wer das sehen soll, der muß blind
sein ... (der Welt entwachsen sein).