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II. Die begriffliche Deutung des mystischen Erlebnisses durch

Meister Eckehart: Die Urbegriffe seiner Philosophie

Aus den gegebenen Proben folgt, daß nicht nur Eckeharts Philo-

sophie, sondern alle großen metaphysischen Philosophien grund-

sätzlich als Versuche zu verstehen seien, die ihnen zugrunde liegen-

den mystischen Erlebnisse b e g r i f f l i c h z u d e u t e n ! Ganz

klar liegt dies am Tage bei der Philosophie der altindischen Upani-

schaden und des Buddhismus, ferner bei Laotse und der anderen alt-

chinesischen Philosophie. Aber auch Platon, Aristoteles, die großen

Scholastiker, ferner Leibniz, Fichte, Schelling, Hegel, Baader können

nicht anders verstanden werden!

Umso mehr ist uns auch die Auslegung Eckeharts eindeutig vor-

gezeichnet: Wir haben zuerst die G r u n d - u n d U r b e g r i f f e

seiner Philosophie aufzufinden, das sind jene, welche sich un-

m i t t e l b a r an das mystische Erlebnis anschließen, dieses Erlebnis

unmittelbar selbst deuten; und wir haben e r s t d a r n a c h jene

weiteren, aus den Urbegriffen a b g e l e i t e t e n B e g r i f f e auf-

zusuchen, welche das Begriffsgebäude ausbauen, den Zusammenhang

der Lehrbegriffe durchführen.

Wir nennen die Urbegriffe auch die s y s t e m b e s t i m m e n -

d e n B e g r i f f e , die abgeleiteten dagegen die a u s g e s t a l t e n -

d e n oder k o n k r e t i s i e r e n d e n B e g r i f f e .

Am schwersten ist die erste Aufgabe zu lösen. Denn Eckehart

kommt, wie wir wiederholt betonten und die gegebenen Proben

schon ahnen lassen, immer wieder auf den Urquell seiner gesamten

Lehre zurück, das mystische Erleben selber. Das ist aber im Grunde

unaussprechlich. Von welchem Punkte er auch ausgehe, sei es Er-

kenntnis oder Seele oder Minne oder Werk oder Natur, er spricht

meistens sozusagen alles auf einmal aus. Zuletzt ist es immer das

mystische Erleben, auf das er ausgeht. Bei den Predigten, den

deutschen wie den lateinischen, liegt diese Tatsache ohnehin klar am

Tage. Aber auch bei den gelehrten lateinischen Schriften ist sie nicht

zu verkennen. Teils arbeitet er da mit den überkommenen scho-

lastischen Begriffen, denen er nicht genug Anteilnahme widmet,

teils aber verläßt er den behandelten Gegenstand, um schnell auf

das Ganze zuzueilen, es im mystischen Kerne zu erfassen.