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Gleiche besagt die häufige Wendung Eckeharts, daß der Mensch
„von Gnade“ das sei, was Gott von Natur.
Dazu stimmt endlich auch die meistens zurückhaltendere Aus-
drucksweise Eckeharts in den lateinischen Predigten, z. B.:
„Bemerke, daß wir auf i r g e n d e i n e W e i s e etwas von Gott sind und
in ihm. — Nota q u o m o d o sumus aliquid dei et in ipso.“
1
Ferner:
„ . .. daß auf irgendeine Weise Gott und Seele ein unteilbares Eins-Sein wird
— quomodo fit —.“
2
Nachdrücklich ist unseres Erachtens hier auch auf die bei Pfeiffer
in Predigt 74 enthaltene Selbstverteidigung hinzuweisen:
„Und etlîche pfaffen die verstênt des niht, daz etwaz sî, daz gote also sippe ist
und alsô ein ist. . .. unde disem (Fünklein) ist verre unde vremde alliu geschaffen-
heit und alliu schepflicheit.“
3
Also auch hier dasselbe Bild wie in der Rechtfertigungsschrifl: das
Fünklein ist Gotte „sippe“; und diese Sippeschaft schließt in sich,
daß es „auf irgendeine Weise“ (quomodo) „über alle Geschaffen-
heit“, daß es also im analogen Sinne „ungeschaffen" sei!
Mit diesem „quomodo“ = „quasi“ stimmt auch eine andere wichtige Stelle
überein:
„Ich meine allez diz wörtelîn ,quasi“, daz heizet ,als“, unde diz ist, daz ich in
allen mînen bredien meine.“
4
Die Empfänglichkeit des Fünkleins für Gott stellt Meister Ecke-
hart nirgends in Abrede, nimmt er nirgends zurück! Diese Empfäng-
lichkeit ist aber der eigentliche Zeuge der „Sippeschaft" und der
Grund aller weiteren Folgerungen.
Mit all dem stimmt die schon angezogene Stelle im Baseler Druck
von 1521/22, welche wohl die einfachste Auflösung aller Schwierig-
keiten gibt. Es heißt dort: Die Seele ist ein Wort Gottes; aber kein
selbstlautendes, sondern ein m i t l a u t e n d e s Wort (fol. 288).
Dasselbe sagen die unten angeführten Stellen über den Menschen
als „Beiwort“.
1
B 90 und öfter „quomodo“.
2
B 111.
3
Pf. 234, 37: Manche Pfaffen aber verstehen das nicht, daß es etwas geben
soll, was Gott so verwandt und so eins (mit Gott) ist. . . jenem aber (dem
Fünklein) ist alle Geschaffenheit und alle Erschaffbarkeit fern und fremd.
4
Pf. 271, 9: Ich richte mein Augenmerk nun auf das Wörtlein ,quasi“, das
heißt, .gleichwie“, und dies ist es, auf das ich’s in allen meinen Predigten abgese-
hen habe.