D r i t t e r A b s c h n i t t
Das Geheimnis der mystischen Gotteserfahrung oder
der Gottesgeburt in der Seele
I. Allgemeine Begriffsbestimmung
Die mystische Erfahrung geht als die letzte und einzig maß-
gebende Erlebnisgrundlage der Philosophie Meister Eckeharts allem
anderen voraus. Wenn wir sie nicht an die Spitze unserer Darstel-
lung stellten, so allein deshalb, weil im Begriffszusammenhange, wel-
cher aus der D e u t u n g des Erlebnisses entspringt, das „Fünklein“
zuerst hervortritt. Im vorhergehenden zeigte sich doch deutlich: Das
Fünklein, der Seelengrund, vermag allein Gott zu berühren, er
allein ist „got alsô sippe“, daß durch diese Sippeschaft und Wesens-
verwandtschaft die Brücke zu dem Unaussprechlichen, Gott, ge-
schlagen wird.
Immer und immer wieder kommt Meister Eckehart auf die Be-
rührung Gottes im Seelengrunde zu sprechen, aber in der Darstel-
lung des Erlebnisses selbst ist er gar zurückhaltend! Es ist daher
nicht leicht, eine solche Darstellung aus seinen Aeußerungen zu-
sammenzulesen.
Was Eckeharts gesamtes Sinnen und Trachten leitet, worauf ihm
alles in Leben und Lehre ankommt, was ihn als „Lesemeister“ zu-
gleich zum „Lebemeister“ macht, was Mitte und Umkreis seiner
ganzen Philosophie erfüllt — es wird von ihm, wie von allen
Mystikern, nicht einheitlich bestimmt. Aber doch geht er gerade
hier auch (im Anschlusse an den Begriff des Fünkleins) über andere
Mystiker hinaus. Er bezeichnet diese innere Erfahrung als „Wieder-
einbildung der Seele in Gott“, als „Einigung“ Gottes und der Seele,
als „Geburt Gottes in der Seele“, als „Einsprechen des ewigen Wor-
tes in die Seele“. Alle diese und andere Bestimmungen entsprechen
dem Begriffe des Fünkleins, wie wir es kennen lernten. Wir ver-