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In immer neuen Wendungen erklärt Eckehart die Gottverwandt-

schaft des Fünkleins, und daß es allein der Gnade empfänglich sei:

„Diu sêle ist gebildet nach gote an irme obersten teile.“

1

„Ob dem liehte ist genâde. Gnâde kumt niemer in vernünftekeit noch in

willen. Sol genâde in vernünftekeit unde in willen komen, sô muoz vernünftekeit

unde willen über sich selber brâht werden... : ez ist neizwaz gar heimlîchez,

daz dar über ist. . . daz fünkelî der sêle, daz dâ alleine enpfenclîch ist gotes.

Da geschiht diu rehte einunge zwischen gote unt der sêle in dem kleinen ganster,

daz der sêle geist heizet.“

2

Nur dem Menschen kommt das Fünklein zu, nur der Mensch hat

dieses Etwas, das „gote also sippe“ ist:

„noch der engel enhât ez niht,. . .“

3

.

Auch allen anderen Geschöpfen fehlt es:

„Wan got sprichet sîn wort in allen crêatûren, aber kein crêatûre m a c sîn

g e w a r w e r d e n denne alleine vernünftic crêatûre.“

4

Das Wesentlichste an allen diesen Bestimmungen sehen wir

(1)

darin, daß das Fünklein allein der mystischen „Berührung“

mit Gott, einer B e w u ß t w e r d u n g dieser Berührung, einer

inneren Gotteserfahrung fähig sei;

(2)

darin, daß es als G r u n d der Seele den K r ä f t e n vorgehe,

anders gesagt, die Wurzel der besonderen Kräfte bilde. Dadurch er-

hält die Erkenntnis- und — auch die Seelenlehre — eine neue

Grundlegung, wie sich später erweisen wird. Die Seele wird so nahe

an Gott gerückt, wie dies in keinem anderen philosophischen Lehr-

gebäude der Fall ist, obgleich sich Verwandtes in anderen Mystiken

findet.

In l e h r g e s c h i c h t l i c h e r H i n s i c h t muß die Ursprünglichkeit des

Begriffes des Fünkleins bei Eckehart behauptet werden. Wenn man dem gegen-

1

Wilhelm Wackernagel: Altdeutsche Predigten und Gebete, Basel 1876, S. 162:

Die Seele ist in ihrem Gipfel Gott nachgebildet.

2

Pf. 255, 14: Oberhalb des Lichtes ist die Gnade. Die Gnade kommt aber

nimmer in die Vernunft noch in den Willen. Soll aber die Gnade (doch) in die

Vernunft und in den Willen kommen, so müssen Vernunft und Wille über sich

selbst hinausgelangen... Es ist etwas gar Heimliches, das darüber ist. .. das

Fünklein der Seele, das alleine Gott empfangen kann. Da geschieht die rechte

Vereinigung zwischen Gott und der Seele in dem Funken, der der Seele Geist

heißt.

3

Pf. 261, 10: Selbst der Engel hat es nicht.

4

Pf. 479, 19: Gott spricht sein Wort in allen Geschöpfen, aber keines vermag

ihn zu erkennen als nur das vernünftige Geschöpf.