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„Es ist eine Kraft in der Seele [so lautet der vom Zensor beanstandete Satz],

wenn die Seele ganz so wäre, so wäre sie ungeschaffen.“ — Darauf erwidert der

Meister: „Sollte das heißen oder meinen, daß gleichsam ein Teil der Seele un-

geschaffen oder unschaffbar wäre, so wäre es ein Irrtum. Wenn es aber so ver-

standen wird, wie es bereits oben [nämlich in der soeben von uns angeführten

Stelle] erklärt wurde, so ist es eine schöne Wahrheit, sittlich, erbauend und zur

Gottesliebe entflammend.“

1

Ferner sagt Eckehart im selben Zusammenhange (§ 8) zu dem beanstandeten

Satze: „Es ist eine ungeschaffene Kraft in der Seele, wenn die Seele ganz so

wäre, so wäre sie ungeschaffen und unschaffbar.“ Folgendes: „Es ist falsch, daß

irgend ein Stück oder Teil der Seele unschaffbar sei. Aber da die Seele ,nach dem

Bilde“ und ,nach dem Geschlechte Gottes“, also geistig ist, so ist freilich wahr,

daß, w e n n s i e r e i n e r I n t e l l e k t w ä r e , wie es Gott allein ist, sie so-

wohl ungeschaffen als auch nicht die Seele wäre. So wäre auch der Mensch,

wenn er ganz Seele wäre, unsterblich — doch wäre er dann kein Mensch mehr.

Die genannte Wahrheit soll den Menschen zur Gottinnigkeit ermuntern, zur

Gottesliebe und Dankbarkeit dafür, daß Gott ihn ,nach seinem Bilde“ schuf ...

als vernünftiges Wesen, so daß er mit Verstand begabt ist n a c h A r t d e s

r e i n e n I n t e l l e k t e s “ .

2

Die von uns hervorgehobenen Stellen erweisen sich als gleich-

lautende, also wohlüberlegte Formeln, in denen der Meister seine

Ansicht in streng begrifflicher Fassung vertritt. Sie sagen einerseits

ausdrücklich, daß der Mensch als Bild Gottes Geist sei, wie auch

Gott selbst Geist ist, daß er n a c h A r t des reinen Intellektes zu

denken sei; andererseits, daß er nicht g a n z Geist, nicht ganz In-

tellekt, nicht ganz Seele sei.

Wenn Eckehart auch die beanstandeten Stellen in der ihm vor-

gelegten Fassung ausdrücklich als irrig bezeichnet, so muß man doch

sagen, daß sie nach seiner eigenen Erläuterung nicht a l s s c h l e c h t -

h i n irrig gelten können. Vielmehr muß nur die allzu einfache For-

mulierung der angefochtenen Predigtstellen, es sei etwas in der

Seele, das ungeschaffen sei, nach Eckeharts Erklärung dahin be-

richtigt werden, daß dieses Etwas, nämlich das Fünklein, „ n a c h

A r t “ des Ungeschaffenen zu verstehen sei; wie er denn auch an

anderer Stelle der Rechtfertigungsschrift, noch weitergehend, sagt:

„es sei denn, daß das „ungeschaffen“ als „nicht geschaffen“ in dem

Sinne verstanden würde, daß es „nicht für s i c h geschaffen", son-

1

Otto Karrer und Herma Piesch: Meister Eckeharts Rechtfertigungsschrift

vom Jahre 1326, Einleitungen, Übersetzungen und Anmerkungen, Erfurt 1927,

S. 103.

2

Otto Karrer und Herma Piesch: Meister Eckeharts Rechtfertigungsschrift

vom Jahre 1326, Einleitungen, Übersetzungen und Anmerkungen, Erfurt 1927,

S. 104 f. — Die Hervorhebungen stammen von mir.