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über auf Augustinus, Hugo von St. Victor, Thomas und andere verweist
1
, so
zeigt sich bei näherer Vergleichung, daß die Ähnlichkeit wohl besteht, aber eben
nur Ähnlichkeit ist. Die „synteresis“ von Thomas, auf welche auch verwiesen
wurde, wird z. B. von Ludwig Schütz im „Thomaslexikon"
2
nach Thomas er-
klärt als: „Bewachung oder Bewahrung der obersten Principien. . . des Sitten-
gesetzes, Habitus zur Erkenntnis dieser Prinzipien ..." — das ist doch nicht
dasselbe wie das „Kleidhaus Gottes“ bei Eckehart! Die größte Verwandtschaft
scheint mir noch mit dem „nus“ des Aristoteles zu bestehen, im besonderen dem
„nus poietikos“ (dem „intellectus agens“ oder der „höheren Vernunft“ der
Scholastiker). Aber bei Begriffen kommt es auf die besondere Prägung an, auf
ihre Verwendung in anderen Begriffszusammenhängen — und da wird man bei
den christlichen Mystikern vor Eckehart n i c h t s
G l e i c h w e r t i g e s
f i n d e n !
Eher wird man schon in den altindischen Upanischaden Nahverwandtes ent-
decken, nämlich im Begriffe des göttlichen Selbstes (âtman), der „göttlichen
Selbstkraft“, das ist des „âtma-cakoi
3
.“
II.
Geschaffenheit oder Ungeschaffenheit des Fünkleins
Es ist eine wichtige Frage, ob die namentlich in den deutschen
Predigten überlieferten Stellen, wonach das Fünklein „ungeschaffen“
sei, als echt zu gelten haben und Eckeharts Lehrmeinung genau
wiedergeben. Glücklicherweise läßt sich das eindeutig entscheiden.
Denn da genügend lateinische Schriften, die von ihm selber verfaßt
wurden, erhalten sind, vor allem aber die Rechtfertigungsschrift da
ist, in der er sich darüber äußern mußte, besitzen wir darüber sein
eigenes, untrügliches Zeugnis. Er sagt in der Rechtfertigungsschrift:
„Wenn es [in den von den Zensoren beanstandeten Stellen] heißt ,Es ist eine
Kraft in der Seele, wäre die Seele (ganz) so, sie wäre ungeschaffen und unschaff-
bar', so ist dies falsch und Irrtum [entgegnet Eckehart] ... Ich habe auch solches
gar nicht behauptet, sondern was ich ausgeführt habe, ... ist dies: daß Gott den
Menschen aus Erde nach seinem Bilde schuf und ,ihn n a c h s e i n e m V o r -
b i l d e m i t K r a f t b e g a b t hat', auf daß er Geist sei, wie auch Gott selbst
Geist ist — Gott reiner Geist, ungeschaffen, ohne jegliche Vermischung mit
anderem.“
4
Und in der Verteidigung gegen die Zusatzanklage sagt Eckehart
in ähnlicher Weise:
1
Otto Karrer: Meister Eckehart. Textbuch aus den gedruckten und unge-
druckten Quellen, München 1923, S. 321 f.
2
Ludwig Schütz: Thomaslexikon, 2. Aufl., Paderborn 1395, S. 800.
3
Vgl. z. B. Cvetacvatara-Up. I, 3, in: Paul Deussen: Sechzig Upanishad’s des
Veda, 3. Aufl., Leipzig 1921, S. 292 und öfter.
4
Otto Karrer und Herma Piesch: Meister Eckeharts Rechtfertigungsschrift
vom Jahre 1326, Einleitungen, Übersetzungen und Anmerkungen, Erfurt 1927,
S. 94.