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56

über auf Augustinus, Hugo von St. Victor, Thomas und andere verweist

1

, so

zeigt sich bei näherer Vergleichung, daß die Ähnlichkeit wohl besteht, aber eben

nur Ähnlichkeit ist. Die „synteresis“ von Thomas, auf welche auch verwiesen

wurde, wird z. B. von Ludwig Schütz im „Thomaslexikon"

2

nach Thomas er-

klärt als: „Bewachung oder Bewahrung der obersten Principien. . . des Sitten-

gesetzes, Habitus zur Erkenntnis dieser Prinzipien ..." — das ist doch nicht

dasselbe wie das „Kleidhaus Gottes“ bei Eckehart! Die größte Verwandtschaft

scheint mir noch mit dem „nus“ des Aristoteles zu bestehen, im besonderen dem

„nus poietikos“ (dem „intellectus agens“ oder der „höheren Vernunft“ der

Scholastiker). Aber bei Begriffen kommt es auf die besondere Prägung an, auf

ihre Verwendung in anderen Begriffszusammenhängen — und da wird man bei

den christlichen Mystikern vor Eckehart n i c h t s

G l e i c h w e r t i g e s

f i n d e n !

Eher wird man schon in den altindischen Upanischaden Nahverwandtes ent-

decken, nämlich im Begriffe des göttlichen Selbstes (âtman), der „göttlichen

Selbstkraft“, das ist des „âtma-cakoi

3

.“

II.

Geschaffenheit oder Ungeschaffenheit des Fünkleins

Es ist eine wichtige Frage, ob die namentlich in den deutschen

Predigten überlieferten Stellen, wonach das Fünklein „ungeschaffen“

sei, als echt zu gelten haben und Eckeharts Lehrmeinung genau

wiedergeben. Glücklicherweise läßt sich das eindeutig entscheiden.

Denn da genügend lateinische Schriften, die von ihm selber verfaßt

wurden, erhalten sind, vor allem aber die Rechtfertigungsschrift da

ist, in der er sich darüber äußern mußte, besitzen wir darüber sein

eigenes, untrügliches Zeugnis. Er sagt in der Rechtfertigungsschrift:

„Wenn es [in den von den Zensoren beanstandeten Stellen] heißt ,Es ist eine

Kraft in der Seele, wäre die Seele (ganz) so, sie wäre ungeschaffen und unschaff-

bar', so ist dies falsch und Irrtum [entgegnet Eckehart] ... Ich habe auch solches

gar nicht behauptet, sondern was ich ausgeführt habe, ... ist dies: daß Gott den

Menschen aus Erde nach seinem Bilde schuf und ,ihn n a c h s e i n e m V o r -

b i l d e m i t K r a f t b e g a b t hat', auf daß er Geist sei, wie auch Gott selbst

Geist ist — Gott reiner Geist, ungeschaffen, ohne jegliche Vermischung mit

anderem.“

4

Und in der Verteidigung gegen die Zusatzanklage sagt Eckehart

in ähnlicher Weise:

1

Otto Karrer: Meister Eckehart. Textbuch aus den gedruckten und unge-

druckten Quellen, München 1923, S. 321 f.

2

Ludwig Schütz: Thomaslexikon, 2. Aufl., Paderborn 1395, S. 800.

3

Vgl. z. B. Cvetacvatara-Up. I, 3, in: Paul Deussen: Sechzig Upanishad’s des

Veda, 3. Aufl., Leipzig 1921, S. 292 und öfter.

4

Otto Karrer und Herma Piesch: Meister Eckeharts Rechtfertigungsschrift

vom Jahre 1326, Einleitungen, Übersetzungen und Anmerkungen, Erfurt 1927,

S. 94.