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Der Vater spricht das Wort durch den Sohn in die Seele, und es
„ ... ist in der sêle als ein widerblic ... und ist in allen crêatûren als ein
behalter irs Wesens.“
1
In der Gottesgeburt wird der Mensch der E i n h e i t seines Seins
mit dem göttlichen Sein im Seelengrunde inne, (allerdings ist es, wie
die Scholastik es ausdrückte, keine „ s u b s t a n z i e l l e Einheit“
mit Gott, aber innigste Gemeinschaft!)
„Got ist daz selbe ein, daz ich bin,.. .“
2
.
„Da der vater sînen sun gebirt in dem inrestem grunde, da hat ein însweben
disiu nâtûre. Disiu ... nâtûre ist ein und einvaltic.“
3
„ ... wan denne sin [Gottes] bekennen mîn ist unde wan sîn substancie sîn
bekennen ist unde sîn nâtûre unde sîn wesen, dar nach so volget, daz sîn wesen
unde sîn substancie unde sîn nâtûre min ist.“
4
Das Innewerden Gottes in der Gottesgeburt ist kein gewöhn-
liches, zerlegbares Bewußtsein:
„ S o l t d û g o t g ö t l i c h w i z z e n , s ô m u o z d i n w i z z e n k o m e n
i n e i n l û t e r u n w i z z e n und in ein vergezzen dîn selbes und aller crêa-
tûren. ... ich erhebe mîn gemüete in ein unbekantez bekantnüsse.“
5
„Swenne aber alliu bilde der sêle abegescheiden werdent unde si alleine
schouwet daz einig ein, so vindet daz blôze wesen der sêle daz blôze forme-
lôse wesen gotlîcher einkeit, daz da ist ein überwesende wesen, lidende, ligende
in ime selben. Eyâ wunder über wunder, wel ein edel lîden daz ist, daz daz
wesen der sêle niht anders liden mac dan alleine bloze einekeit gotes!“
6
Wie die Platonischen Ideen die Materie formen, so f o r m t Gott
die Seele in diesem mystischen Zustande (ohne jedoch, wie hervor-
1
Pf. 479, 18: In der Seele ist es wie ein Widerschein... und ist in allen
Kreaturen wie ein Erhalter ihres Wesens.
2
Pf. 439, 11: Gott ist dieselbe Einheit, die ich bin!
3
Pf. 65, 4: Dort, wo der Vater im innersten Grunde seinen Sohn gebiert, da
schwebt diese (Menschen-) Natur mit ein. Diese Natur ist Eines und einfaltig.
4
Pf. 40, 16: Weil denn sein (Gottes) Erkennen mein ist (in der Gottesgeburt)
und weil seine Substanz sein Erkennen und seine Natur und sein Wesen ist, so
folgt daraus, daß sein Wesen und seine Substanz und seine Natur mein sind.
5
Pf. 25, 34: W i l l s t d u G o t t a u f g ö t t l i c h e W e i s e w i s s e n ,
s o m u ß d e i n W i s s e n z u e i n e m r e i n e n U n w i s s e n und einem
Vergessen deiner selbst und aller Kreaturen w e r d e n . . . . ich erhebe mein
Gemüt in ein nichterkennendes Erkennen.
6
Pf. 318, 12: Wenn alle Bilder der Seele abgeschieden werden und sie nur
das einige Eine schaut, dann findet das reine Sein der Seele, erleidend und ruhend
in sich selbst, das reine, formenfreie Sein göttlicher Einheit, das da ein über-
seiendes Sein ist. Oh, Wunder über Wunder, welch edles Leiden ist es, wenn das
Sein der Seele nichts anderes erleiden kann als einzig die reine Einheit Gottes.