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suchen im folgenden, die verschiedenen Äußerungen des Meisters
nach einer gewissen inneren Zusammengehörigkeit zu ordnen. Als
eine verhältnismäßig noch begrifflose Darstellung des Erlebnisses
selbst — eine der wenigen, die sich finden — stellen wir die fol-
gende, in einer deutschen Predigt bei Pfeiffer uns aufbewahrte
voran:
Dieser innere Vorgang ist dadurch gekennzeichnet,
„ .. . daz diu sêle in got lebet unde von gote in eime liehte und in eime
gesmacke blîbet inhangende und ûfhangende in einer lûterkeit des liehtes
unbewegelich.“
1
Die erste nähere Bestimmung ist uns bereits bekannt: als Gottes-
geburt in der Seele
2
. Darin ist Tätigkeit und Empfangen zugleich.
„Ez würket got unde begert diu sêle. Got hât daz werc unde diu sêle hât
daz begeren unde daz vermügen, daz got in sî geborn werde unde si in got. . ..
Götlich nâtûre giuzet sich in daz lieht der sêle unde si wirt enthalten dar
inne.“
3
„Waz gotes geburt in der sêle si? Gotes geburt in der sêle ist niht anders
denne ein sunderliîchez göteliîchez berüeren in einer sunderlîchen himelischen
wîse, da got dem geiste locket ûz dem gestürme crêatûrlîcher unruowe in sîne
stille einekeit, dâ sich got dem geiste gemeinen mac nâch sîner götlîchen eigen-
schafl.“
4
Eine andere häufige Bestimmung ist, daß Gott „in dieser Geburt“
sein Wort in die Seele spreche.
„Alsô treit der vater sin wort in die sêle, sô treit sich diu sêle in dem
Worte
wider in den vater.“
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1
Pf. 132, 10: (Aber [Hin-]Gabe heißt:), daß die Seele in Gott und von Gott
lebt, in dem einen Lichte und in dem einen Geschmacke bleibt, aufgehängt und
drin hängend in der Lauterkeit des Lichtes, unbeweglich.
2
Wenn R. Seeberg in seinem sonst so verdienstvollen „Lehrbuch der Dog-
mengeschichte“ (Bd III, 3. Aufl. 1913, S. 566) erklärt: „Die Vorstellung von
einer Geburt Gottes oder Christi in der Seele ist alt“, und unter anderen auf
Origines verweist, so können wir dem nicht zustimmen. Denn die Lehre vom
Seelengrunde fehlt dort, und damit fällt jede Vergleichsmöglichkeit, welche über
die bloße Bezeichnung hinausginge, dahin.
3
Pf. 86, 17 und 23: Es wirkt Gott und begehrt die Seele. Gott hat die
Wirkkraft und die Seele hat das Begehren und das Vermögen, daß Gott in sie
geboren werde und sie in Gott. Göttliche Natur gießt sich ein in das Licht der
Seele und sie wird darinnen behalten.
4
Pf. 479, 10: Was Gottes Geburt in der Seele sei? Gottes Geburt in der Seele
ist nichts anderes als ein besonderes, göttliches Berühren in einer besonderen,
himmlischen Weise, dadurch lockt Gott den Geist aus dem Stürmen kreatürlicher
Unrast in seine stille Einigkeit, dorthin, wo Gott mit dem Geiste Gemeinschaft
pflegen kann nach seiner göttlichen Weise.
5
Pf. 479, 25: Wie der Vater sein Wort in die Seele trägt, so trägt sich die
Seele in dem Worte wieder in den Vater.