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Die Gottesgeburt ist eine Geburt des Sohnes in der Seele; aber

der Mensch ist nur aus G n a d e , was Christus von Natur:

. . der hie zuo komen ist, .. . dirre mensche ist got unde mensch. Wizzent, er

hat allez erkrieget von gnaden, daz Kristus hete von nâtûre.“

1

So ist auch der anstößig klingende Satz zu verstehen:

„Allez daz denne got ie gegap sînem einbornen sune, daz hat er mir gege-

ben . . ,“

2

.

Damit stehen wir vor einem wichtigen, oft geäußerten Gedanken

Meister Eckeharts, bei dem wir verweilen müssen! Wie der letzt-

angeführte Satz, so lautet auch der Satz 11, welcher verurteilt

wurde. Eckehart sagt in seiner Verteidigung, er gelte durchaus von

der Einigung der menschlichen Natur mit Christus im mystischen

Leibe (gemeint ist das Corpus Christi mysticum); die zu leugnen, sei

ein Beweis gröblicher Unwissenheit

3

. Wie ernst es Eckeharten mit

diesem Gedanken war, daß Gott der Seele (aus Gnade) alles gegeben

habe wie dem Sohne (von Natur), erkennt man aus vielen Äußerun-

gen:

„Da der vater sînen sun in mir gebirt, da bin ich der selbe sun unde niht

ein ander. . . . ,Dâ wir süne sîn, da sîn wir rehte erben'.“

4

„Gotes hoehstiu meinunge ist gebern. Im engenüeget niemer, er gebere denne

sinen sun in uns. Der sêlen gebüeget ouch enkeine wîse niht, der sun gotes

werde in ir geborn. Unde dâ entspringet gnade.__________ Si fliuzet ûz dem wesenne

gotes unde fliuzet in daz wesen der sêle . . .“

5

O Wunder über Wunder! Wenn ich nur an die Vereinigung denke, die Gott

mit der Seele hält! Er macht die Seele in Wonne und Freude aus sich selber aus-

fließen, denn alle benannten Dinge genügen ihr nicht.

1

Pf. 127, 38: Der Mensch, der hierzu gekommen ist (zur Gottesgeburt) . ..,

der ist Gott und Mensch (zugleich). Wisset, er hat alles das aus Gnaden be-

kommen, was Christus von Natur aus hatte.

2

Pf. 56, 18: Alles, was Gott je seinem eingeborenen Sohn gab, das hat er

mir gegeben.

3

Augustinus Daniels: Eine lateinische Rechtfertigungsschrift des Meister

Eckehart, in: Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters, BdXXXIII,

Heft 5, 1923, S. 17, n. 7.

Vgl. Otto Karrer: Meister Eckehart, Textbuch aus den gedruckten und un-

gedruckten Quellen, München 1923, S. 343.

4

Pf. 137, 15: Wo der Vater seinen Sohn in mir gebiert, da bin ich derselbe

Sohn und nicht ein anderer . . . Wo wir Söhne sind, da sind wir rechte Erben.

3

Pf. 296, 1: Gottes höchstes Streben ist: gebären. Ihm genügt es nimmer,

er gebäre denn seinen Sohn in uns. Auch die Seele begnügt sich in keiner Weise,

wenn der Sohn Gottes in ihr nicht geboren wird. Und da entspringt die Gnade

... Sie fließt aus dem Sein Gottes und fließt in das Sein der Seele...