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71

„War umbe ist got mensche worden? Dar umbe daz ich got geborn würde

der selbe."

1

Es ist der e r n s t e s t e G e d a n k e E c k e h a r t s , die Seele

habe ihrem reinen Wesen nach göttliche Schöpferkraft, jene, in

welcher der Gedanke auch schon das gedachte Ding schafft. Denn

die Seele ist göttlichen Geschlechtes. Die deutlichste, wichtigste

Äußerung hierüber findet sich im alten Baseler Druck:

„Mich wundert (und dies Wunder hat mich lange bekümmert), daß die Seele

nicht also ein kräftiges Wort aussprechen mag wie der himmlische Vater. Die

Meister sprechen, es sei davon, daß, was in Gotte ist, das sei Gotte wesentlich, in

der Seele aber bildlich, und darum möge die Seele nicht Gotte gleichen an ihren

Werken. Diese Rede halte ich nicht für wahr. Denn ... (überlegt man), so ist

die Seele w e s e n t l i c h nach Gotte gebildet. — Andere Meister sprechen: Was

Gott ist, das hat er alles von ihm selber, aber was die Seele hat, das hat sie

empfangen und davon mag sie Gotte nicht gleichen an seinen Werken. Diesem

widerspreche ich aber allzumal. Denn der Sohn hat auch empfangen vom Vater

alles, das er ist, und wirket doch gleich dem Vater ... Es ist eine andere Rede

(das ist ein anderer Grund), die die Seele hindert; an d i e s e r l a s s e i c h

m i c h e i n w e n i g g e n ü g e n . Das ist, daß der Sohn (Christus) ist geflos-

sen aus der Person des Vaters und ist (zugleich) in ihm geblieben w e s e n t -

l i c h , und darum vermag er wesentlich und persönlich alles, das der Vater

vermag; die Seele aber ist ausgeflossen von den Personen und nicht (rein) im

Wesen geblieben. Mehr, sie hat ein F r e m d e s (das ist ein ungleiches) W e s e n ,

das vom göttlichen Wesen (nur) geursprungt ist.“

2

Nach Eckehart ist es demnach nur das f r e m d e , k r e a t ü r -

l i c h e W e s e n , welches die Seele in der Welt annahm, was sie

von ihrem göttlichen Vermögen trennt, — ein Gedanke, der in

seiner Größe nur gewürdigt werden kann, wenn man die letzte

Spur materialistischen Denkens abstreift! —

Das kommt auch in einer deutschen Predigt bei Pfeiffer zum Aus-

drucke:

„... der himel fliuzet in sî .. . unde machet sî fruhtber,... Alsô tuot got dem

menschen: der ime wênet enpfliehen, er loufet ime in die schôz, wan im sint alle

winkele offen. Got gebirt sînen sun in dir, ez sî dir lieb oder leit, du slâfest

oder wachest, got tuot daz sîne. Daz der mensche des niht bevîndet, daz ist des

schult, daz sîn Zunge mit dem unflâte der crêatûren ist belîmet und des salzes

gotlîcher minnen niht enhât. Hêten wir die gotlîche minne, sô smahte uns got

und alliu diu werk, diu got ie geworhte, und enpfiengen alliu dinc von gote

1

Pf. 233, 35: Warum ist Gott Mensch geworden? Darum, daß ich als derselbe

Gott geboren werde.

2

Hans Martensen: Meister Eckhart. Eine theologische Studie, Hamburg 1842,

S. 29.