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130

„Das Obere übt seinen Einfluß auf das Untere“

1

.

„Denn buchstäblich wird die ,Ordnung des Himmels und sein ,Gesetz‘, näm-

lich seine Kraft und Eigenart, der niederen Welt eingeprägt. Das geschieht aber

offensichtlich und in reicherem Ausmaße bei der Erde, einmal, weil die Him-

melsstrahlen von ihr zurückprallen, sodann, weil in ihr als dem Mittelpunkte (des

Weltalls) die Kräfte der Gestirne zusammenströmen. Dadurch glaubt man, daß

die Z a h l d e r A r t e n d e r W e s e n h e i t e n (numerus specierum in enti-

bus) der Z a h l d e r S t e r n e a m H i m m e l e n t s p r e c h e n.“

2

Man muß zugeben, daß dies richtig zu Ende gedacht war. Denn ist

alles an den Himmel gekettet (an die Gestirne), so muß jedem art-

eigenen Einfluß auch eine eigene Art auf der Erde entsprechen. Aber

überdies wirken die Einflüsse ineinander. Eckehart sucht das im ein-

zelnen darzustellen:

„.. . alliu obern dinc hânt aller meist gelegenheit ze würken in dem, daz

under in ist. Da von sint alle cêatûre, die lîphaft sint, ein köder der sunne

unde der Sternen, unde würket in dem steine diu kraft und sine glîcheit. Alse

diu sunne an sich ziuhet den fiuhten luft, alse gît si dem steine ir glîcheit und ir

kraft, daz er ungesihteclich einen braden und eine kraft von ime lât, daz etlich

isen an sich ziuhet.. .“

3

„... daz obrist element ninder sô wol gewürken mac dan in dem grunde der

erde, da w ü r k e t e z g o l t u n d e s i l b e r u n d e d e l g e s t e i n , unde

waz dâ vermenget ist mit der erde, alse loub unde gras unde boume, daz treit

in ime eine gelicheit des himels unde des engels der den himel rüeret, unde

lenget unde breitet unde hüttet sich, daz diu sunne unde der Sternen kraft vil in in

mügent würken,.. .“

4

.

Ähnlich sagt Eckehart an einer anderen Stelle:

„Die Sterne gießen ihre Kräfte in den Grund des Erdreiches und wirken da

lauteres Gold.“

5

1

Meister Eckhart: Die Lateinischen Werke, Fünfter Band, Teil II, heraus-

gegeben von Bernhard Geyer, Stuttgart 1937, S. 75.

2

Meister Eckhart: Die Lateinischen Werke, Dritter Band, Expositio sancti

Evangelii secundum Johannem, herausgegeben von Josef Koch, Stuttgart 1937,

S. 225.

Ähnlich Q, I 233, 10.

3

Pf. 155, 37: Alle oberen Dinge haben zumeist Gelegenheit, auf das unter

ihnen Liegende einzuwirken. Daher sind alle leibhaftigen Geschöpfe mit der

Sonne und mit den Sternen (als ihre Angelpunkte) verbunden; und beide ver-

leihen dem Stein ihre Kraft und Eigenschaft. So wie die Sonne die feuchte Luft

zu sich zieht, so verleiht sie dem Stein von ihren Eigenschaften und ihren Kräf-

ten, daß er einen Dunst und eine Kraft ausstrahlt, welche einiges Eisen anzieht.

4

Pf. 156, 12: Das oberste Element vermag nirgends so gut einzuwirken als

in der Tiefe der Erde: Da schafft es Gold, Silber und Edelsteine; und was mit

Erdstoff vermengt ist, wie Gras und Laub und Baum, das trägt in sich eine

Entsprechung der Himmelskraft und des Engels, der den Lauf der Gestirne

wirkt, und (Laub, Gras und Baum, die) längen und breiten sich und achten

daß Sonne und Sterne ihre Kraft in sie wirken lassen.

5

Franz Jostes: Meister Eckhart und seine Jünger, Ungedruckte Texte zur