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ruhe auf der Gottgegründetheit beider, zugrunde liegt! Goethe
sprach diese Lehre unter anderem auch in der Form aus, daß Geist
und Natur, beide ein Abglanz Gottes seien (eine Lehre sowohl der
Naturphilosophie Schellings wie Hegels!):
So im Kleinen ewig wie im Großen
Wirkt Natur, wirkt Menschengeist und beide
Sind ein Abglanz jenes Urlichts droben,
Das unsichtbar alle Welt erleuchtet.
1
Es ist, als fänden wir Eckeharts Lehre von der L i e b e , mit der
Gott sich selbst liebt und die das Herz wie das All durchglüht, in
Goethes Naturdichtung mitgeahnt:
Allgegenwärt’ge Liebe,
Durchglühst mich;
Beutst dem Wetter die Stirn,
Gefahren die Brust!
Hast mir gegossen
Ins früh welkende Herz
Doppeltes Leben,
Freude, zu leben
und Mut
2
.
Auch die Begründung aus innerer, mystischer Erfahrung fehlt
nicht:
Nachts, wann gute Geister schweifen,
Schlaf dir von der Stirne streifen,
Mondenlicht und Sternenflimmern
Dich mit ewigem All umschimmern,
Scheinst du dir entkörpert schon,
Wagest dich an Gottes Thron
3
.
Diese Belege, welche sich sehr vermehren ließen, genügen, um die
Gleichartigkeit der Naturanschauung Eckeharts und Goethes zu be-
weisen. Wir sagen nicht, daß Goethe die gleichen Gedanken aus-
gesprochen habe, wohl aber, daß die Betrachtung der Natur in ihm
dieselben Grund- und Urgefühle der Gottdurchdrungenheit und
Liebe weckte.
Nun noch einige Zeugnisse anderer Dichter, welche lehren, wie
sehr die echte Naturdichtung überall dieselbe Sprache spricht. Wir
beginnen mit R ü c k e r t , welcher wohl aus den Quellen orien-
1
Theatervorspiel.
2
Pilgers Morgenlied.
3
Zahme
Xenien,
Sechstes