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Das gilt auch für M e i s t e r E c k e h a r t , daher auch seine Er-
kenntnislehre bisher nicht eigentlich ans Licht gebracht wurde.
Gehen wir aber von den mystischen Zuständen, der inneren Gottes-
erfahrung, aus, dann werden wir das Ziel erreichen.
II.
Mystische Erkenntnislehre
Eckehart geht zur Begründung auf etwas zurück, was noch über
allem besonderen, einzelnen Erkennen liegt, auf den Seelengrund,
das „Fünklein“. Man kann es am kürzesten als Organ mystischer
Erfahrung bezeichnen.
In einer seiner unmittelbarsten, kühnsten Predigten, der 87.,
spricht sich Eckehart über das Fünklein im Hinblick auf das Er-
kennen folgendermaßen aus:
„Nû ist ein frage, wâ ane sêlikeit aller meist lige? Etlîche meister hânt ge-
sprochen, daz si lige an der minne. Ander sprechent, si lige an bekantnüsse und
an minne, unde sprechent für baz. Aber wir sprechen, daz si niht lige an be-
kantnüsse noch an minne, sunder ein dinc ist in der sêle, von dem fliuzet be-
kantnüsse unde minne, daz bekennet selbe niht noch minnet niht alsô als die
krefte der sêle. Der diz bekennet, der bekennet, wâ ane sêlikeit lige. Diz hât
weder vor noch nach und ez ist niht wartende keines zuokomenden dinges, wan
diz mac weder gewinnen noch verlieren. Hier umbe sô ist ez beroubet, daz ez
niht enweiz in im ze würkenne; mêr: ez ist selbe daz selbe, daz sîn selbes ge-
brüchet nach der wîse gotes.“
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Eckehart lehrt damit wie F i c h t e die Selbstsetzung.
Hieraus ersehen wir, was a l l e mystische Erkenntnislehre kenn-
zeichnet: daß Eckehart etwas noch vor oder über der Erkenntnis
Stehendes annimmt, das nämlich, wodurch mystische Erfahrung, das
Innewerden eines übersinnlichen, göttlichen Seins erst möglich wird.
Eckehart bestimmt es deutlicher als andere Mystiker als Seelengrund
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Pf. 282, 15: Nun ist es eine Streitfrage, worin die Seligkeit vorzüglich liege
(Seligkeit bedeutet hier Gotteserfahrung). Etliche Meister haben gesagt, sie liege
in der Liebe, andere sagen, sie liege in der Erkenntnis u n d in der Liebe, und
die treffen’s schon besser. Wir aber sagen, daß sie w e d e r in der Erkenntnis
n o c h in der Liebe liege; es gibt vielmehr ein Etwas in der Seele [das Fünklein,
der Seelengrund], aus dem Erkenntnis und Liebe ausfließen; es selbst erkennt
und liebt nicht, wie es die K r ä f t e der Seele tun. Wer dieses (Etwas) kennen-
lernt, der erkennt, worin die Seligkeit liegt. Es (das Fünklein) hat weder Vor
noch Nach, und es wartet auf nichts Hinzukommendes, denn es kann weder
gewinnen noch verlieren. Darum zeigt es den (scheinbaren) Mangel, daß es
nicht weiß, wie es aus sich selbst heraus wirken kann, vielmehr ist es selbst
dasselbe, das sich selbst genießt in der Weise, wie Gott es tut.