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Leib (bei der Geburt). Das kann aber die Ansicht Eckeharts nicht er-

schöpft haben, wie die 56. und 87. Predigt bei Pfeiffer (wir führen

später noch weiteres daraus an) bezeugen. Er stellte sich jedenfalls

irgendeine Art von V o r d a s e i n der Seele in Gott vor; wahr-

scheinlich so, daß die Seele als Gedanke Gottes in Gott bereits vor

ihrem Eintritte in die Welt bestand. Dies ist auch mit der von

Eckehart gelehrten Überzeitlichkeit des göttlichen Schaffens verein-

bar. Wenn Gott in einem überzeitlichen Nun, wie Eckehart sagt,

die Seele geschaffen hat — die Seele schlechthin, also die Mensch-

heit — so muß darin die individuelle Seele mit ihrer unverlier-

baren Persönlichkeit irgendwie enthalten sein; die einzelne persön-

liche Seele also auch ein (überzeitliches) Vordasein in Gott haben.

Daher heißt es in der 56. Predigt (wie schon angeführt):

„Dô ich stuont in dem grunde, in dem bodem, in dem river und in der

quelle der gotheit, dâ frâgete mich nieman, war ich wolte oder waz ich tête:

da enwas nieman, der mich frâgete.“

1

Und warum fragte mich niemand? — weil ich dort ü b e r z e i t -

l i c h bin; überzeitlich: daher war auch niemand, der mich hätte

fragen können.

Nach Eckeharts und anderer Mystiker Lehre ist alles, was in Gott

ist, Gott. Aber das S c h i c k s a l , welches die Seele in der Welt

nimmt, ist doch nicht gleichgültig; auch nicht für ihr Sein in Gott

(wie zwar aller Dinge Ideen gleichermaßen „Ideen“ sind, aber nicht

„Ideen gleicher Dinge“, also inhaltlich verschieden bestimmt).

Darauf also beruht der Sinn des Lebens! Alle Sorge unseres Le-

bens soll darin bestehen, den W i e d e r e i n g a n g in Gott aufs

herrlichste zu gestalten:

„Dazu hat Gott die Seele geschaffen, daß sie mit ihm vereinigt werde.“

2

„. .. alle die gäbe, die er gegeben hat in himel und ûf erden, die gab er alle

dar umbe, daz er eine gâbe geben möhte, daz was er selber.“

3

Ganz allgemein lehrt ja Eckehart von der Seele:

1

Pf. 181, 3: Da ich in dem Grunde, in dem Boden, in dem Flusse und in

der Quelle der Gottheit stand, da fragte mich niemand, wohin ich wollte oder

was ich täte: da war niemand, der mich hätte fragen können.

2

Eduard Sievers: Predigten von Meister Eckehart, in: Zeitschrift für deut-

sches Altertum, Bd 15, Berlin 1872, S. 412, 9.

3

Pf. 569, 38: Alle Gabe, die er (Gott) im Himmel und auf Erden gegeben

hat, die gab er darum, daß er (schließlich) eine Gabe geben könne, die war er

selber.