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Man denke da nur an die Blumen-, Rasen- und Tierstücke A l -
b r e c h t D ü r e r s , wie sie etwa in der Wiener Albertina zu
sehen sind. Sie alle sind (übrigens bei größter Naturtreue) von innen
heraus, aus der Seele des Gegenstandes gemalt: In der Eingebung ist
diese Seele erfaßt! Desgleichen ist G o e t h e s Faust und Ho-
m e r s Odysseus von innen her gestaltet. Und in den „Wahlver-
wandtschaften“, in denen Goethe die inneren Triebkräfte der
Liebe wie aus chemischer Affinität wirkend darstellt, über die aus
geistiger Freiheit sich zu erheben die Beteiligten nicht fähig sind,
ist es von Anbeginn offenbar, daß der Dichter seine Darstellung
nicht auf bloße Beredsamkeit, vielmehr einzig auf Eingebung (die
hier eigenem Erlebnisse entspringt) bauen konnte.
Das Wonnige und Vollgenügende des Schaffens aus Eingebung
läßt E d u a r d M ö r i k e seinen „Maler Nolten“ aussprechen:
„Es bleibt mir nichts zu wünschen übrig, da ich das Allgenügende der Kunst
und jene hohe Einsamkeit empfunden, worin ihr Jünger sich für immerdar ver-
senken muß“
1
.
Die Bedeutung der Eingebung kommt auch in den Worten
Eichendorffs zum Ausdrucke:
Der Dichter darf nicht mitverarmen;
Wenn alles um ihn her zerfällt,
Trägt ihn ein göttliches Erbarmen -
Der Dichter ist das Herz der Welt.
Was ist diese göttliche Erbarmung? Nichts anderes als die dem
Dichter verliehene E i n g e b u n g s k r a f t . Durch ihren Ge-
brauch allein kann er nicht mitverarmen, muß er im allgemeinen
Zerfall sich behaupten. Und so wird er der einzig übrigbleibende
Halt inmitten einer versinkenden Welt, er wird, wie Eichendorff
hier sagt, „das Herz der Welt“!
Solche Bestimmungen des Wesens des Dichters haben für uns als
Selbstbekenntnis, als Versuch des Künstlers ohne theoretisch-befan-
gene Begriffsbestimmung sein eigenes Inneres zu beschreiben, ihren
unübergehbaren Wert!
1
Eduard Mörike: Maler Nolten.