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tige, rätselhafte Natur ist, entsprechen ihm auch weitere Gegen-

bilder, die unter den Hofleuten zu suchen sind, die darum so zahl-

reich und verschieden gestaltet wurden.

Mit Recht wird der Tiefsinn dieses Stückes stets bewundert wer-

den. Nicht nur Bau und Inhalt des Stückes verdienen immer neue

Bewunderung; auch die Betrachtungen Hamlets, so sein Monolog

„Sein oder Nichtsein“, nehmen uns gefangen.

Daß sich in Hamlet widersprechende Eigenschaften vereinigen,

er, der sich nach der Erscheinung und den Mahnungen des Geistes

nicht zur Tat aufraffen kann, dennoch im Augenblick der Gefahr

den Aufrührern und Laertes allein mit kühner Entschlossenheit ent-

gegentritt, in ihm also nicht nur Grübelei und Unentschlossenheit

herrscht; das ist es, was die größte Meisterschaft der Gestaltung

erfordert. Denn darum kann auch der F o r t s c h r e i t u n g s -

g a n g des Dramas in der Zeit, die Entfaltung, nicht so geradlinig

vorwärtsgehen, wie z. B. im „Macbeth“; vielmehr sind immer ver-

zögernde Umstände, Hemmungen aller Art nötig, um dem gerecht

zu werden. Dieser äußerst verwickelten Sachlage ist, wie gesagt, auch

ein überaus verwickeltes Gebäude von Entsprechungs- und Folge-

gestalten näherer und fernerer Ordnung gemäß.

Alle diese Fortgestaltungen, Verwicklungen, Glücksumschläge

(Peripetien) und schließlich die Endgestaltung, welche folgerichtig

den Untergang bringt; sie alle haben nichts künstlich Ausgedachtes

an sich, sondern saugen aus der ersten Eingebung und ihrer Urge-

staltung stets neue Nahrung und sind mit ihr gesättigt.

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5. Der Sturm

Und was ist in Shakespeares „ S t u r m“ Eingebung, Urgestalt

und die Runde der Entsprechungsgestalten?

Wir müssen, um diesem großen Drama, das wohl die Summe der

Lebensweisheit Shakespeares ausspricht, auf den Grund zu kommen,

zuerst versuchen, eine begriffliche Einsicht seines Gehaltes zu erlan-

gen.

Prospero, der rechtmäßige Herzog von Mailand, wird von seinem

Bruder um das Herzogtum betrogen. Das ist aber nur die Vor-

geschichte. Das Wesentliche: Nachdem Prospero zwölf Jahre mit

seiner Tochter auf einem fernen Eilande einsam verbrachte, löst sich