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Im a l t i n d i s c h e n D r a m a steht es im Grunde ebenso;
ü b e r d i e s aber ist es dort weit stärker durch Schuld und Ver-
dienst des Helden in seinen früheren Leben — dem sogenannten
Karma —, die sich nun auswirken, begründet; ohne daß übrigens
die Willensfreiheit ausgeschaltet wäre. Der Held hat nur durch sein
Karma jeweils eine bestimmte Grundlage des Lebens vor sich, ohne
daß doch das Schicksal zur u n p e r s ö n l i c h e n Macht würde.
Zum Beispiel finden wir bei Böhtlingk Sprüche von solcher Art:
Der S c h w ä c h l i n g führt das Schicksal nur
Im Munde statt der Manneskraft.
Mit Manneskraft schlägt das Geschick
Des H e l d e n stets gespannte Kraft
1
.
Daher auch das Erhabene, Geheimnisvolle, welches vom griechi-
schen und indischen Drama ausstrahlt.
Solche höchste Rückverbundenheit fehlt aber in keiner Kunst völ-
lig und kann darum auch in der Neuzeit nicht fehlen. In Shake-
speares „Sommernachtstraum“ z. B. wird das Schicksal von Menschen
durch Vorgänge in einer höheren Welt gelenkt; ähnlich im „Mac-
beth“, soweit die Hexen durch ihre Weissagungen eingreifen; des-
gleichen in „Richard III.“ durch Einwirkungen der Geister der Er-
mordeten das Schicksal gewaltsam gegen den Helden des Stückes sich
durchsetzt.
Dazu kommt noch das eigentliche Schicksalsdrama, welches aller-
dings in der Neuzeit nicht recht gedeihen will, da ihm der not-
wendige Hintergrund, der Glaube an Nornen, Götter und die Be-
stimmung des Menschen überhaupt fehlt. Dennoch geht von ihm
ein eigentümlicher Zauber aus, wie z. B. Grillparzers „Ahnfrau“
beweist. Warum? Weil trotz aller Mängel gespürt wird, daß ein
Rückverbindendes das Leben des Menschen halte und trage. — Da-
gegen ist für den Fatalismus im neuzeitlichen Bewußtsein kein
fruchtbarer Boden.
Im großen Ganzen macht sich das Rückverbindende unausgespro-
chen, verborgen geltend und tritt nicht ausdrücklich als Schicksal
auf. Es ist mächtig, aber nicht unbesieglich. Es muß nur überhaupt
da sein. So bei Calderon und Lope de Vega, Goethe, Schiller, Kleist
und vielen anderen.
1
Otto Böhtlingk: Indische Sprüche, III, St. Petersburg 1865, S. 111, vgl. auch
I, S. 33 u. ö.