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Versuch stützt sich auf unseren Begriff des Schönen. Ohne einen

richtigen Begriff des Schönen und, daraus abgeleitet, des Stiles über-

haupt, kann auch die Sonderform des Klassischen und Romantischen

nicht verstanden werden.

Von unseren Merkmalen des Schönen aus, nämlich Eingebung,

Gestaltung und Rückverbundenheit, und dem soeben entwickelten

Begriffe des Stiles aus lösen sich alle grundsätzlichen Fragen und

Denkaufgaben.

1. Die Begriffe des klassischen und romantischen Stiles

Nach allem Vorherigen muß der wesentliche Unterschied beider

Stile darin liegen, daß die E i n g l i e d e r u n g der Eingebung in

einen anderen Geisteszusammenhang erfolgt.

Wodurch ist dieser Geisteszusammenhang gekennzeichnet? Das ist

die Hauptfrage, aus deren Beantwortung sich alles weitere erst erge-

ben kann.

Die K l a s s i k — wofür wir vorläufig als Beispiele ebenso

Homer wie Goethe, ebenso Myron und Phidias wie Leonardo und

Dürer nennen — ist dadurch gekennzeichnet: ihre Geistesinhalte

sind auf eine sichere, beruhigte m e t a p h y s i s c h e Haltung

gegründet! Das metaphysische Bewußtsein des klassischen Künstlers

wird von keinem Zweifel an Gott, keiner Frage nach dem Sinn des

Lebens, keinem Hader mit der Gottheit erschüttert!

Diese metaphysische Bestimmtheit der Geisteshaltung, ja des ge-

samten Lebensgefühls, erweist sich die ganze Geschichte hindurch

als die unerläßliche Voraussetzung jeder Art klassischen Stils. Spä-

ter werden wir dafür die Belege beibringen. Als einziger Beleg

möge jetzt Homer dienen, dessen Helden mit den Göttern verkeh-

ren.

Jedes Zweifeln und Hadern ist da ausgeschlossen.

Wird nun die Eingebung des Künstlers in eine solche metaphy-

sisch bestimmte Geisteswelt eingegliedert, dann ergeben sich daraus

zwei Merkmale des klassischen Stiles:

Erstens eine Erfassung der Dinge von der sie beseelenden und

gestaltenden Idee her („Idee“ im platonischen Sinne). Dadurch wird

die Kunst notwendig g e g e n s t ä n d l i c h (objektiv) und m e t a -

p h y s i s c h zugleich. Letzteres nicht etwa, weil sie über Meta-