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Idee — aus in der künstlerischen Eingebung ergriffen und gestaltet
— die K l a s s i k .
Wo die innere Fühlung mit der urbildlichen Macht geschwächt
wird, da entsteht das Ringen um sie: die R o m a n t i k . Wo sie
gar verlorengeht, da bleibt nichts als der Naturalismus — wie alle
Verfallszeiten beweisen; am grellsten die neueste Zeit seit den letz-
ten hundert Jahren, ganz besonders aber seit den letzten fünfzig
Jahren!
Wie gespenstig steht, in diesem Lichte gesehen, unsere neuzeit-
liche Kunst seit dem Sturze der Klassik und Romantik da!
Aber auch in der gesamten Neuzeit seit der Renaissance sieht man
deutlich den Allgemeingehalt der Kunstwerke abnehmen — ä h n -
l i c h w i e i n d e r P h i l o s o p h i e s e i t d e m A u f -
k o m m e n u n d V o r d r i n g e n d e s N o m i n a l i s m u s
u n d E m p i r i s m u s ! Die Gegenkräfte, welche Leibniz, Kant,
Fichte, Schelling, Hegel, Baader und ihre Schulen entwickelten,
waren auf die Dauer geschichtlich zu schwach und mußten schließ-
lich das Feld räumen, so daß der E m p i r i s m u s fast alles be-
herrscht.
Wie in der Philosophie, so auch in der Kunst: Die naturalistisch-
positivistischen, ametaphysischen Kräfte eroberten das Feld.
In diesem Zusammenhange zeigt sich wieder in der Dichtkunst die besondere
geschichtliche
Bedeutung
S h a k e s p e a r e s !
Bei
voller
Allgemeingültigkeit
seiner Gestalten hat er doch einen Reichtum an Individualität, welcher einer Zeit,
die nicht mehr so tief im Übersinnlichen lebt, wie die gotische, genügen kann.
Daher der geradezu leidenschaftliche Rückgang unserer Klassiker und Romantiker
auf Shakespeare völlig im Rechte war.
Zusatz über den klassischen, romantischen und gebrochenen Stil
Wir lassen vorerst den gebrochenen Stil beiseite und wenden uns
dem Gegensätze klassisch — romantisch zu.
A. K l a s s i k u n d R o m a n t i k
Die Erklärung des Wesens der Klassik und Romantik wurde oft
versucht, aber keine konnte sich durchsetzen. Unser nachfolgender